Doktor auf Abwegen
solidarisch.»
«Worum geht denn überhaupt diese verdammte Sache?»
«Fragen Sie mich nicht. Ich glaub, einer von denen wurde gefeuert, weil er in den Oberkellner eine Gabel hineingerannt hat. Dabei möchte ich wetten, daß es hier nur gemütliche Jobs gibt. Schließlich sind die Menschen in einem Hotel doch dazu da, um sich zu vergnügen. Was man vom Heiligen Grab nicht gerade behaupten kann.»
«Schön, schön», murmelte Sir Lancelot. «Dann muß ich’s wohl anderswo versuchen. Obwohl zu dieser Nacht- und Jahreszeit nicht viel Hoffnung besteht.»
«Es gibt da am Piccadilly eine die ganze Nacht geöffnete Damentoilette», sagte Harold hilfsbereit. «Aber sehr bequem wird’s wohl nicht sein, die Zeit bis zum Frühstück sitzend zu verbringen.»
«Ich muß die Verantwortung für meine Begleiterin tragen. Erfassen Sie, in was für enorme Schwierigkeiten Sie mich da bringen?»
«Tut mir leid, Sir Lancelot. Aber so ist halt die Demokratie, nicht?» Er blickte über die Schulter und drückte ihm einen Zettel in die Hand. «Ein guter Tip für Ascot. Mein Bruder ist im Turfgeschäft.»
Sir Lancelot warf die Tür neben dem Fahrersitz ins Schloß. «Sie sind sich über die Situation im klaren?» fragte er barsch. Amelia nickte. «Wir können es noch im Claridge, im Connaught, im Ritz versuchen, wenn Sie wünschen. Sonst kann auch ich Ihnen ein Bett für die Nacht anbieten.»
Amelias Augen wurden zu schmalen Schlitzen. «Wie nett von Ihnen.»
«Meine Wirtschafterin wohnt natürlich bei mir im Haus.»
«Oh, natürlich.» Romantische Vorstellungen von Lancelot und Ginevra erwachten in ihr. Der Rolls wurde zu einem weißen Zelter.
Innerhalb der Eingangstür von Sir Lancelots Wohnung in der Lazar Row rief sie aus: «Nein, was für ein entzückendes Häuschen! Man könnte sich vorstellen, jeden Augenblick Elizabeth Barrett-Browning die Treppe herunterkommen zu sehen —»
Er legte ihr bedeutsam einen Finger auf die Lippen. «Meine Wirtschafterin hat einen sehr leichten Schlaf.»
Sie gingen in den ersten Stock hinauf.
«Was für ein Bett!» wisperte sie ihm neckisch ins Ohr.
«Es ist heute frisch bezogen worden», hauchte er zurück. Sacht stellte er ihre Reisetasche nieder. «Ich hoffe, Sie werden sich wohl fühlen. Die Müllabfuhr des Hospitals macht um halb sieben oft Krach. Zum Badezimmer geht’s dort durch. Gute Nacht.»
Amelia setzte sich auf das Bett. Sie zündete sich eine Zigarette an. Sie runzelte die Stirn. Warum hatte er sie so abrupt verlassen? Offenbar aus Gewohnheit: Machen Sie sich inzwischen frei, der Arzt kommt in einer Minute zu Ihnen.
Sie entkleidete sich. Rauchte eine zweite Zigarette. Der Zeiger der Weckeruhr wies auf drei. Sie öffnete die Tür. Unten schien Licht. Auf Zehenspitzen trippelte sie im Nachthemd zur Diele hinunter. Sir Lancelot lag im Vorderzimmer unter einem schottischen Plaid auf dem Ledersofa und schnarchte aus weit offenem Mund. Sie blickte ihn traurig an. Sie seufzte. Sie sagte langsam: «Kein Wunder, daß denen Indien verlorenging.»
6
Sir Lancelot träumte, er werde von einer menschenfressenden Henne verfolgt. Lautes Gekreische weckte ihn auf — es kam, wie er entdeckte, von Miss MacNish. In ihrem grünen Overall starrte sie ihn von der Schwelle her an. «Konnten Sie denn nicht mehr die Stufen hinauf, als Sie endlich nach Hause kamen?»
Sir Lancelot wunderte sich darüber, was er in seinem Wohnzimmer zu suchen hatte. «Wieviel Uhr ist es?»
«Sieben Uhr, Freitag morgens.» Er setzte sich auf und rieb sich die Augen. «Noch dazu splitternackt», fügte Miss MacNish angewidert hinzu.
«Ich habe mein Bett einem Amerikaner abgetreten, der kein Hotelzimmer hatte. Als Schottin werden Sie Gastfreundschaft zu würdigen wissen.»
Sie blickte ihn noch immer streng an. Es mißfiel ihr, wenn etwas im Haus nicht an seinem Platz war, insbesonders Sir Lancelot. «Soll ich ihm eine Tasse Tee hinaufbringen?»
«Großer Gott, nein! Um keinen Preis!»
«Warum denn nicht?» fragte sie anklagend.
«Weil Amerikaner keinen Tee trinken.»
Voll Argwohn fragte sie weiter: «Was für ein Amerikaner ist er denn?»
«Eine literarische Persönlichkeit. So à la Ernest Hemingway.»
«Aha. Mag er vielleicht Porridge?»
«Wer mag schon nicht Porridge?»
«Wie lang bleibt er?»
«So kurz, daß Ihnen die Anwesenheit eines anderen Menschen im Haus überhaupt nicht auffallen wird.»
Sie verließ ihn. Sir Lancelot stand auf, schlüpfte rasch in seinen Slip, umhüllte sich mit dem
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