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Doktor auf Draht

Doktor auf Draht

Titel: Doktor auf Draht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
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Bewußtsein, wie weit wir uns vom Viktorianischen Prinzip langer Verlobungszeiten entfernt haben«, sann ihre Mutter.
    »Verdammt kluge Köpfe, diese Viktorianer.«
    »Aber ihr seid nun«, murmelte Frau Direktor Hilda, Punschtorte anbietend, »mehr als achtzehn Monate verlobt.«
    »Ei, wirklich?« rief ich überrascht aus. »Wie die Zeit verfliegt!«
    »In der Tat.«
    Frau Direktor Hilda schaltete eine Pause ein, während der sie den Tee eingoß. Sie war eine stattliche Frau in der Art einstiger Opernsängerinnen, wohlgenährt auf Kosten der Direktoren und Dirigenten. Wäre ich ein kriminelles Mädchen gewesen, hätte ich mich zu Tode vor ihr gefürchtet.
    »Neulich las ich in einer Zeitschrift, daß die Bourbonen jahrelang mit ihren künftigen Königinnen verlobt waren«, bemerkte ich in der Annahme, daß dies sie interessieren könnte.
    »Sie wurden natürlich schon im zartesten Alter einander versprochen«, gab Frau Direktor Hilda etwas abweisend zurück. »Bei euch hingegen nehme ich an, daß ihr wißt, was ihr wollt.«
    Anemone war viel zu nett, um auf ein derart heikles Thema näher einzugehen, und warf ein:
    »Mammi, ist das nicht famos: Gaston sagt, er kann nun doch für vierzehn Tage zu uns nach Whortleton-Sea kommen.«
    Frau Direktor Hildas Augen erstrahlten neuerdings.
    »Es ist Ihnen also gelungen, sich von all Ihren ärztlichen Verpflichtungen freizumachen?«
    »Hab daran gearbeitet wie ein Entfesselungskünstler.«
    »Ein Aufenthalt am Meer wird Ihnen bestimmt unendlich gut tun. Sie kennen Whortleton?«
    Ich nickte. »Hab allerdings schon jahrelang nicht mehr an der Salzsuppe genippt. Und meine Beziehungen zu den dortigen Garnelen dürften sich stark gelockert haben.«
    »Wir wohnen ständig in diesem reizenden Hotel an der Seepromenade. Anemone und ich teilen ein Zimmer, und ich werde die Direktion ersuchen, Ihnen ein weiteres zu reservieren. Ihr jungen Leute werdet bestimmt eine Menge Unterhaltung finden. Sie erinnern sich vielleicht an das Aquarium und die Blumenuhr; und dann gibt es die ausgezeichneten Bunten Abende am Kai und die Bingo-Spiele im Wintergarten.« Frau Direktor Hilda lächelte. »Mir ist, Gaston, als würden Sie Whortleton nicht verlassen, ohne vorher Ihren Hochzeitstag festgesetzt zu haben. Wenn ich Sie erst vierzehn Tage — will sagen, wenn Whortleton mit seinem romantischen Zauber Sie erst vierzehn Tage in Arbeit genommen hat. Nehmen Sie doch eines von diesen rosa Kuchenstückchen. Sie kämen nie auf den Gedanken, daß das Mädchen, das sie bereitete, ihren kleinen Bruder zerstückelte.«
    Anemone und ich gingen dann fort, um ein nettes Tennismatch zu spielen (sie kannte ein paar sehr nette Leute vom dortigen Tennisklub). Doch ich muß gestehen, ich schmetterte den Ball mit dem dumpfen Gefühl über das Netz, daß Frau Direktor Hilda bisweilen den energischen Versuch unternahm, mein Leben zu organisieren. Während ich Anemones nettem Service zusah, rief ich mir in Erinnerung, daß mich Frau Direktor Hilda seit meiner Verlobung behandelt hatte, als wäre ich eines ihrer kriminellen Mädchen. Im vergangenen Winter hatte es unaufhörlich Zank gegeben, nur weil ich mit einigen Jungen vom St. Swithin zum Internationalen Fußballmatch nach Paris geflogen war. Es hatte ganz den Anschein, als mißbilligte Frau Direktor Hilda jeden meiner Versuche, mich dem ehrenwerten Netzwerk der Britischen Eisenbahnlinien zu entziehen; so war es nur natürlich, daß ich meinen Flug nach New York erst gar nicht erwähnte.
    Klar, daß es mir höchst zuwider war, ein so nettes Mädchen wie Anemone anzulügen. Selbst, wenn nicht die geringste Möglichkeit bestand, daß sie daraufkam. Nun wurde mir bewußt, daß es höllisch sein würde, Frau Direktor Hilda zwei Wochen lang im Badeanzug zu sehen, von den Bunten Abenden ganz zu schweigen; aber hätte ich mich auch von den Ferien gedrückt, würde man trotzdem nach meinem Tod beim Obduzieren das Wort »Whortleton« auf meinem Herzen gefunden haben.
    All das hinderte nicht, daß ich mir wie ein niederträchtiger Schurke vorkam, als ich Anemone am Vormittag nach meiner Rückkehr aus New York anrief. In der Badewanne sitzend, entschied ich, daß meine Haltung keineswegs einem Manne zukam, der knapp vor dem zweiten Jahrestag seiner Verlobung stand. Die Erklärung, daß man in Cheltenham gewesen war, wenn man sich in New York aufgehalten hatte, mochte noch als ein geographischer Schnitzer hingenommen werden. Aber die Vereinbarung eines Rendezvous mit einem

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