Doktor auf Draht
Gaston! Seit wann hast du diesen burschikosen amerikanischen Tonfall angenommen?«
»Das kommt von den Filmen. Hab in Cheltenham eine Unmenge Filme gesehen. Hatte sonst nichts anderes zu tun.«
»Mammi sagt, hoffentlich hast du dich nicht gelangweilt.«
»Lieb von ihr. Aber Oma ist für ihr Alter ein kolossaler Gesprächspartner.«
»Sie meint, hoffentlich hast du dich nicht so sehr gelangweilt, daß du trinken gegangen bist.«
»Keine einzige Maß englisches Bier ist über meine Lippen geflossen.«
Unheimlich, wie wohl man sich fühlen kann, wenn man im Grunde die Wahrheit sagt.
»Muß jetzt auflegen«, entschuldigte ich mich. »Die Luft ist dick von den Fäden, die ich jetzt, wo ich in der Stadt zurück bin, wieder aufnehmen muß.«
»Aber, Gaston, du sprichst, als kämst du von der anderen Seite der Welt.«
»So ist einem auch in Cheltenham zumute. Bye-bye, Nenny. Auf bald.«
»Lebwohl.«
Unbewußt wischte ich mit meinem Ärmel über den Hörer, als hätte ich ihn mit etwas Garstigem infiziert. Recht gemein von mir, mich einem so netten Mädel wie Anemone gegenüber derart zu benehmen. Ich machte einen tiefen Seufzer. Es war so bedauerlich wie das Ersäufen von Kätzchen oder das Frisieren des Steuerbekenntnisses, aber ebenso unvermeidbar.
Und Anemone war ja wirklich ein nettes Mädel. Jeder, der sie kennenlernte, sagte das.
»Welch nettes Mädchen, Frau Direktor Hilda Parkhouses Tochter«, bemerkte mein Cousin Miles, der am Morgen nach einer Party in seinem Haus in Kensington, wo er uns miteinander bekannt gemacht hatte, bei mir vorsprach.
»Ja, ein sehr nettes Mädchen«, bestätigte ich.
Und das war seltsam, denn sonst wichen unsere Vorstellungen von Frauen voneinander ab wie die Michelangelos von Epsteins.
»Bilde mir ein, Frau Direktor Hilda nahm erfreut die Aufmerksamkeiten zur Kenntnis, die du der jungen Dame erwiesen hast«, bemerkte Miles mit seinem üblichen frostigen Lächeln.
»Oh, wirklich, hab ich das?«
Ich hatte Anemone eigentlich nur die aufgespießten Würstchen und die kleinen Fischhappen gereicht. Freilich fällt es einem leicht, unbegleiteten Blondinen bei Parties — selbst bei Miles’ Fruchtsaft-Einladungen — Aufmerksamkeiten zu erweisen.
»Frau Direktor Hilda«, setzte Miles fort, ein weiteres Lächeln aus seiner Tiefkühltruhe hervorholend, »fand, du seist ein reizender junger Mann.«
»In der Tat? Lieb von ihr.«
»Ich sagte natürlich nichts, was sie hätte desillusionieren können. Mir ist es lieber, Frau Direktor Hilda hält unsere Familie für eine Herde weißer Schafe.«
Diese Bemerkung war typisch für Miles. Er gehörte zu jener Sorte Leute, die angesichts des Zerfalls des Britischen Weltreichs nur das eine bedauern: daß es künftig an trostlosen Kolonien mangeln werde, in die man Leute wie mich verschiffen konnte.
»Frau Direktor Hilda ist natürlich eine höchst bedeutsame Gestalt unserer Nation«, setzte mein Cousin fort, als ich seine Anspielung ebensowenig beachtete wie einen Tennisball, der out war. »Ich glaube, sie könnte als persönliche Freundin des Premierministers sogar mir einen sicheren Sitz im Parlament verschaffen, wenn sie will. >Miles Grimsdyke, M. P.< — das wäre ein Spaß, wie? He? Ha ha!«
»Ha ha«, sagte ich.
»Oder sogar die lebenslängliche Pairswürde, wie? Ha ha ha!«
»Ha ha ha«, sagte ich.
»Ganz davon zu schweigen, daß sie seit eh und je eine vertraute Freundin von Lady Spratt ist. Bin überzeugt, sie könnte auf Sir Lancelot einen Druck ausüben, selbst für dich einen angesehenen Posten im Nationalen Gesundheitsdienst zu finden. Ha ha ha ha!«
»Ha«, sagte ich.
Miles und Frau Direktor Hilda waren dicke Freunde geworden, als sie beide in der Königlichen Kommission zur Untersuchung der öffentlichen Moral saßen. Mein Cousin war ein ernsthafter Bursche, den die Familie nur dann in einem Atemzug mit mir erwähnte, wenn sie darauf hinweisen wollte, welch interessante Varianten es in bezug auf die Erblichkeit der Intelligenz gab. Er war nicht nur der jüngste Chirurg im Spezialistenstab des St.-Swithin-Spitals, sondern setzte sich auch gewaltig für die Abstürzung unserer sozialen Rattenlöcher ein; ich glaube, er sah sich selbst in die Geschichtsbücher als den Mann eingehen, der unser Land endlich dadurch in Ordnung brachte, daß er verbot, nach acht Uhr abends ein Paket Zigaretten zu kaufen oder sonntags ein Shakespeare-Stück anzusehen.
Was Frau Direktor Hilda betraf, war sie eine wohlbekannte
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