Doktor auf Draht
Nacht gemeinsam mit meinem Cousin um die Ohren zu schlagen, »könntest du nicht deinen Abstieg in die Unterwelt auf morgen verschieben? Es liegt ein reichlich ermüdender Tag hinter mir.«
»Cheltenham ist doch nicht so weit.«
»Nein, das nicht«, räumte ich ein. »Aber wenn du dich in Nachtlokalen herumtreibst, wird dich bestimmt jemand erkennen. Diese Örtlichkeiten sind stets voll von Leuten, die man am wenigsten dort erwarten würde. Und wenn sich das je im St. Swithin herumspräche — «
»Daran habe ich bereits gedacht.« Miles zog eine große schwarze Brille aus der Brusttasche. »Damit bin ich völlig unkenntlich, überzeuge dich. So tarnen sich, glaube ich, alle Filmstars, wenn sie Lasterhöhlen aufsuchen.«
Er sah eigentlich nicht anders als ein Miles mit Sonnenbrille aus, aber ich sagte: »Na schön. Wenn du wirklich die Stadt auf den Kopf stellen willst, komm ich lieber mit, damit dir kein Haar gekrümmt wird.«
»Übrigens«, sagte Miles, seine Zigarette abtötend, »wo finde ich einen Buchmacher? Mich juckt’s, einen schönen Batzen auf ein Pferd zu setzen.«
Ich hätte wohl von allem Anfang damit rechnen sollen, daß Miles’ Hemmungen wie alte Gummibänder zerplatzen würden. Vor allem sobald er seine schwarze Brille aufsetzte — er bildete sich irgendwie ein, weil er kaum jemanden zu erkennen vermochte, würde niemand ihn erkennen.
»Führ mich in eine Kneipe«, verlangte er. »Wollte immer schon in eine richtige Kneipe gehen.«
»Wie du wünschst, alter Junge.«
Ich meinte, wir wären am besten in meinem Stammlokal aufgehoben, einem jener sauberen und gemütlichen kleinen Wirtshäuser, die man manchmal durch einen glücklichen Zufall in London findet; man hat in ihnen das Gefühl, als würde der Wirt einem die Getränke in seiner guten Stube reichen. Es wurde von so soliden Bürgern wie Polizisten, Postboten und Dienstmännern besucht und von einem sehr anständigen Ehepaar in mittleren Jahren, einem Ex-Gardisten und seiner rheumatischen Frau, geführt, die mich stets herzlich willkommen hießen und mir bisweilen auch Kredit gewährten.
»Guten Abend, Mrs. Hildenborough«, begrüßte ich die hinter dem Schanktisch stehende Wirtin.
»Guten Abend, Doktor. Lange nicht gesehen.«
»War auf Verwandtenbesuch in Cheltenham. Zwei Maß, bitte.«
Miles beugte sich über die Theke. »Guten Abend, Schätzchen«, sagte er, wobei seine Brille um ein Haar in ihrem Jumper hängengeblieben wäre.
Mrs. Hildenborough blickte recht überrascht drein, grüßte jedoch freundlich zurück: »Guten Abend. Ist’s so recht für Ihren blinden Freund?« fragte sie mich, den Krug vorsichtig neben Miles’ Ellenbogen stellend.
»Alle Mann hergehört«, verkündete Miles.
»Was sagst du, alter Junge?«
»Ich laß eine Runde springen. So sagt man doch? Du lieber Gott«, rief er, in seine Rocktasche greifend. »Meine Brieftasche! Sie ist in meinem anderen Sakko in deiner Bude geblieben.«
»Ich geh sie holen«, erklärte ich, da ich nicht Lust hatte, für unsere Tour auch noch zu blechen. »Bin in einer Minute wieder da. Trink nicht meine Maß Bier aus.«
Miles’ Brieftasche fand ich bald, aber ich lief der lieben Alten über den Weg, die die Treppe zum umgebauten Pferde-Speisesaal scheuerte und mit mir wie gewohnt über ihre Nieren plaudern wollte. Während ich ihr meine ärztliche Beratung zuteil werden ließ, dachte ich voll Unruhe, daß sich mein Cousin in der ihm ungewohnten Umgebung vielleicht unbehaglich fühlen mochte.
Tatsächlich erreichte ich das Wirtshaus just in dem Augenblick, als er durch die Türe auf das Pflaster segelte; Mr. Hildenborough sah ihm, sich die Hände abwischend, nach.
»Daß ich dich nie wieder in meinem Haus zu sehen krieg, Dreckskerl«, brüllte der Wirt. »Und das gilt auch für Sie, Dr. Grimsdyke. Wenn das die Art Gesellschaft ist, in der Sie sich herumtreiben, dann will ich Sie nicht mehr unter meinem Dach sehen, danke sehr.«
»Na hör mal«, rief ich perplex, als Miles sich aufrappelte. »Ja, was ist denn um Himmels willen passiert, Mr. Hildenborough? Hat er jemandem ins Bier gespuckt, oder was sonst?«
»Er ist Mrs. Hildenborough nahegetreten«, erwiderte der Wirt, »kann von Glück reden, daß ich ihm nicht seine Visage eingedroschen hab. Jetzt schaut, daß ihr beide wegkommt, sonst ruf ich die Polizei.«
»Aber wir haben ja noch nicht unser Bier bezahlt —«, rief ich.
»Behalten Sie sich Ihre unlauteren Einkünfte«, schrie mich Mr. Hildenborough an und
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