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Doktor auf Draht

Doktor auf Draht

Titel: Doktor auf Draht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
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gefühllose viktorianische Haltung gegenüber dem Problem dieser zarten Schößlinge, die im geheimnisvollen Wald der Reifung heranwachsen, erfüllt mich mit Entsetzen«, schloß Evan Crippen, sichtlich beglückt über die letzte Wendung.
    »Wollen Sie mir bitte — «
    »Sir Lancelot, würden Sie sich selbst ein Fossil nennen?«
    »Ob ich mich was nennen würde?«
    »Danke, Sir Lancelot. Dieses Interview kann man wohl als sehr aufschlußreich bezeichnen. Frau Direktor Hilda — « Die Sanitätsinspektorsnase wirbelte herum. »Sie sind also, versteht sich, unsere größte heimische Autorität auf dem Gebiet der Jugendkriminalität?«
    Frau Direktor Hilda lächelte geschmeichelt.
    »Ich glaube, allgemein dafür angesehen zu werden.«
    »Gewiß. Frau Direktor Hilda, ich habe hier einen Zeitungsausschnitt, der etliche Jahre alt ist. Wollen Sie bitte den Zuschauern erklären, wieso Sie dann dereinst wegen Ladendiebstahls eines Hutes vom Polizeigericht zu fünf Pfund Strafe verurteilt wurden?«
    Frau Direktor Hilda schnappte nach Luft — dasselbe taten alle anderen Anwesenden im Studio.
    »Aber... aber... das ist so lange her.«
    »Gewiß. Doch es war Ladendiebstahl.«
    »Ich... ich war damals noch ein dummes Mädel... und es war so ein hübscher Hut... ich weiß nicht, was damals über mich gekommen ist...«
    »Sprechen Sie weiter, Frau Direktor Hilda.«
    »Ach du lieber Himmel!« Frau Direktor Hilda angelte nach dem Taschentuch. »Ich dachte, jedermann hätte das vergessen... wie schrecklich, nach all diesen Jahren...«
    Evan Crippen lächelte. »Sprechen Sie bitte weiter, Frau Direktor Hilda.«
    Sir Lancelot klopfte ihm auf die Schulter. »Einen Augenblick, Söhnchen.«
    »Lassen Sie mich in Ruhe!« fuhr ihn der Interviewer an.
    »Wissen Sie, was ich von Ihnen halte?« knurrte Sir Lancelot und faßte ihn am Rockaufschlag. »Ich finde, Sie haben die Mentalität eines bösartigen Halbstarken, der des Nachts durch vorstädtische Hinterhöfe schleicht, in der Hoffnung, durch vorhanglose Fenster eine ehrbare Hausfrau in der Unterwäsche zu erspähen.«
    »Unerhört!« schrie Evan Crippen auf.
    »Weiters«, fuhr Sir Lancelot fort und bemächtigte sich des anderen Rockaufschlags, »haben Sie die Manieren eines Schulschinders, die Ritterlichkeit eines Zuhälters, das Zartgefühl eines barbarischen Sklaventreibers und etwa soviel Takt wie ein Elefant, der ein Treibhaus zertrampelt.«
    »Lassen Sie mich sofort los! Die Zuschauer — «
    »Wissen Sie, was ich mit Ihnen anfangen möchte?« Sir Lancelot schüttelte ihn ein bißchen. »Ich möchte Sie ins St.-Swithin-Spital bringen und die Nacht über in der Leichenkammer einsperren. Dann würden Sie vielleicht zu erkennen beginnen, daß wir alle schwache Menschenkinder aus demselben Fleisch und Blut sind, selbst wenn unsere Egos bisweilen wie Luftballons aufgeblasen werden.«
    »Wenn Sie nicht augenblicklich Ihre Hände von mir wegtun — «
    »Nehmen Sie einen kleinen Rat von mir an, Söhnchen: Wenn Sie damit fortfahren wollen, die Leute mittels dieser verrückten Erfindung zum Narren zu halten, tun Sie’s meinetwegen. Ich würde Ihnen bloß raten, die Äsopschen Fabeln zu lesen, wobei ich besonders auf den >Esel in der Löwenhaut< hinweise, mit einem kleinen Fingerzeig auf den >Fuchs und die sauren Trauben<. Nun aber werden Sie sich gefälligst bei der Dame entschuldigen.«
    »Dieses Programm sieht keine Entschuldigung bei wem immer vor«, brauste Evan Crippen auf.
    »Andernfalls werde ich Ihnen Ihr dreckiges Genick brechen.«
    »Oh, Sir Lancelot!« rief Frau Direktor Hilda und fiel ihm um den Hals.
    »Abbrechen!« schrie der Studioleiter. »Wir lassen stattdessen diesen Film über das Dorfleben laufen.«
    »Ich lasse Sie hinauswerfen!« donnerte Evan Crippen, mit dem Finger auf mich weisend. »Sind denn alle verrückt geworden?«
    »Ein prachtvolles Programm«, sagte der Producer über die Sprechanlage. »Lebensechtes Fernsehen.«
    »Ich möchte einen Drink«, sagte Sir Lancelot.
    »Ich auch«, schloß ich mich ihm an.
    Ich schob die zwei Akteure aus dem Studio und bugsierte sie hintenherum in ein Lokal. Frau Direktor Hilda kaufte ich einen großen Brandy. Sie trank ihn, während sie zu Sir Lancelot wie einer ihrer verflixten Teenager aufblickte, der mit dem neuesten Schlagersänger im Lift steckengeblieben ist.
    »Meine liebe Dame«, begann Sir Lancelot, indem er sich mit einer Hand die Schminke abwischte und mit der anderen die ihre umfaßte. »Hoffentlich haben Sie sich das

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