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Doktor auf Draht

Doktor auf Draht

Titel: Doktor auf Draht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
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er mir jetzt nicht mehr so erpicht vorkam, wie er dasaß und sein Bild im strahlenden, von elektrischen Birnen umrahmten Spiegel anstarrte, den man in der Make-up-Abteilung des Studios angebracht hatte.
    »Sie sind doch hoffentlich nicht nervös, Sir?« scherzte ich.
    »Sogar ungewöhnlich. Ganz im Gegensatz zu diesem alten Drachen, Frau Direktor Hilda — verzeihen Sie, Grimsdyke, mir war im Augenblick Ihre drohende Verwandtschaft ganz entfallen —, ganz im Gegensatz zu Frau Direktor Hilda bin ich es nicht gewohnt, mich als ein ständiges öffentliches Ausstellungsobjekt zu betrachten. Unsere Ansichten gehen jedoch in einem solchen Maße auseinander, daß es als ein Mangel an sittlicher Kraft ausgelegt werden würde, wenn ich es ablehnte, im erforderlichen Augenblick mit ihr die Klingen zu kreuzen.«
    Ich nickte. »Da Sie bereits in zehn Minuten in der Atmosphäre schweben, Sir, ist es wohl besser, wenn ich jetzt ins Studio hinuntergehe. Der Erfrischungsraum befindet sich am Ende des Korridors«, fügte ich hinzu, dessen eingedenk, daß selbst Bischöfe gerne eine rasche kleine Erfrischung zu sich nehmen, bevor sie vor die Kameras treten.
    »Danke, Grimsdyke. Man erkennt, daß Sie einmal Anästhetiker waren.«
    Das Studio glich, wie alle Fernsehstudios vor einer Sendung, dem Schwarzen Loch von Kalkutta, das mittels vieler Drähte zur Fernsehbühne ausgestaltet wurde. Es wimmelte von Kameras, Kabeln und Männern in ausgefransten Khaki-Pullovern. Dazwischen stolperte, mit verlorenem und leerem Blick, der Studioleiter herum; mit seinem Sprechgerät empfing er, wie die Jungfrau von Orleans, Botschaften von oben.
    Ich hatte an diesem Tag bereits mit Frau Direktor Hilda geluncht — sie hatte mir einige sehr nette Grüße von Anemone überbracht — und wußte, daß sie sich genauso in ihrem Element fühlte wie die Pawlowa vor ihrem Auftritt in »Schwanensee«. Doch der arme Sir Lancelot, auf einem jener harten Sessel sitzend, die man bei Fernsehinterviews als Strafverschärfung beistellt, starrte bloß verschreckt auf das Kontrollgerät, das ein Paar munterer Seehunde zeigte, die sich gegenseitig Bälle zuschanzten.
    »In zwei Minuten alle auf Posten«, rief der Studioleiter, die Botschaft von oben weitergebend.
    Sir Lancelots Antlitz wurde so weiß wie der Bildschirm des Kontrollgeräts.
    »Ich habe vor, Sie ganz unbarmherzig zu behandeln, Sir Lancelot«, lächelte Frau Direktor Hilda und drohte ihm neckisch mit dem Finger. »Aber Püffe lasse ich mir andererseits von Ihnen auch nicht gefallen. Im Fernsehen wird fair gekämpft, wissen Sie!«
    Sir Lancelots Antlitz sah plötzlich so wirr zerklüftet aus wie der Bildschirm des Kontrollgeräts. Ich hielt mich ruhig im Hintergrund. Wenn Evan Crippen mich zu einem Interview bestellt hätte, wäre ich ausgewandert, hätte mir einen Bart wachsen lassen und meinen Namen geändert. Während ich auf das rote Licht wartete und die Ansagerin betrachtete, die ihre Fernseh-Halslinie ins beste Licht setzte, konnte ich nicht umhin, heftigstes Mitgefühl für den alten Knaben zu empfinden.
    »Zehn Sekunden«, rief der Studioleiter.
    Das rote Licht flammte auf, und die eintausendvierundfünfzigste Folge von »Heute abend« eroberte die Atmosphäre.
    Das Programm begann in der gewohnten Art: ein Mann verbreitete sich über die politische Lage, ein Mädchen setzte auseinander, wie man Bettdecken aus alten Farbbändern verfertigt, ein anderes Mädchen sang ein heiteres Liedchen, und ein anderer Mann verbreitete sich über etwas anderes. Schließlich blitzte das Licht an Sir Lancelots Kamera auf, und Evan Crippen begann, die beiden den nach Millionen zählenden gespannten Zuschauern vorzustellen, die — je nachdem — bei einer kalten Platte oder Cocktails saßen.
    »Sir Lancelot«, wandte sich Evan Crippen an den Chirurgen. »Sie schrieben neulich in der Presse, es werde viel zuviel Aufhebens mit den Problemen der modernen Teenager gemacht?«
    »Nun ja, ich —«
    »Wollen Sie damit im Ernst sagen, daß diese wohl größte soziale Frage unseres Landes nicht zuwenig, sondern viel zuviel Beachtung in der Öffentlichkeit findet?«
    »Ich meinte — «
    »Sir Lancelot, ich bin äußerst überrascht, daß ein Mann Ihres Ansehens — noch dazu auf dem überragenden Gebiet der Medizin — eine derart beklagenswert niedrige Einstellung hat.«
    »Ich versichere Ihnen, daß ich — «
    »Viele Teenager sehen sich dieses Programm an, und ihre Reaktion brauche ich Ihnen kaum auseinanderzusetzen. Ihre

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