Doktor Faustus
Mittagsmahls im Buchelhause eintraf. Es war kein abendliches Fest. Man hatte sich zeitig am Vormittag zusammengefunden; nach der Trauung in der Dorfkirche vereinigte ein vortreffliches Frühstück uns alle in dem mit schönem Kupfergerät geschmückten Speisezimmer des Brauthauses, und bald danach schon fuhren die Neuvermählten mit dem alten Thomas nach der Station Weißenfels ab, um von dort die Reise nach Dresden anzutreten, während die Hochzeitsgäste noch einige Stunden bei den guten Fruchtlikören Frau Luders zusammenblieben.
Adrian und ich taten an jenem Nachmittag einen Gang um die Kuhmulde und zum Zionsberg. Wir hatten zu reden über die Texteinrichtung von »Love's Labour Lost«, die ich übernommen, und über die es schon viel Gespräch und Korrespondenz zwischen uns gegeben hatte. Aus Syrakus und Athen hatte ich ihm das Szenarium und Teile der deutschen Versifikation schicken können, bei der ich mich auf Tieck und Hertzberg stützte und gelegentlich, wenn Zusammenziehungen es nötig machten, aus eigenem möglichst stilvoll etwas hinzutat. Unbedingt nämlich wollte ich ihm eine deutsche Fassung des Librettos wenigstens auch unterbreiten, obgleich er immer {272} noch an dem Vorhaben festhielt, die Oper auf englisch zu komponieren.
Sichtlich war er froh, der Hochzeitsgesellschaft ins Freie entkommen zu sein. Die Verschleierung seiner Augen zeigte an, daß Kopfschmerz ihn drückte, – und übrigens war es seltsam gewesen, in der Kirche und bei Tische dasselbe Anzeichen bei seinem Vater zu beobachten. Daß dieses nervöse Leiden gerade bei festlichen Gelegenheiten, unter dem Einfluß von Rührung und Erregung, sich einstellt, ist begreiflich. So war es beim Alten. In des Sohnes Fall war wohl die psychische Ursache vielmehr die, daß er nur notgedrungen und unter Widerständen an diesem Opferfest der Magdschaft, bei dem es sich obendrein um seine Schwester handelte, teilgenommen hatte. Allerdings kleidete er sein Mißbehagen in Worte der Anerkennung für die Schlichtheit und geschmackvolle Unaufdringlichkeit, mit der die Sache in unserem Falle war gehandhabt worden, für den Wegfall von »Tänzen und Bräuchen«, wie er sich ausdrückte. Er lobte es, daß alles am hellen Tage sich abgespielt hatte, die Trauungspredigt des alten Pfarrers kurz und schlicht gewesen war, und daß es bei Tisch keine anzüglichen Reden, zur Sicherheit überhaupt keine Reden gegeben habe. Wenn auch noch der Schleier, das weiße Sterbekleid der Jungfräulichkeit, die atlasnen Totenschuhe vermieden worden wären, so wäre es noch besser gewesen. Besonders günstig sprach er sich über den Eindruck aus, den Ursels Verlobter und nunmehriger Gatte auf ihn gemacht hatte.
»Gute Augen«, sagte er, »gute Rasse, ein braver, intakter, sauberer Mann. Er durfte um sie werben, durfte sie anschauen, ihrer zu begehren, – sie zum christlichen Weib zu begehren, wie wir Theologen sagen, mit berechtigtem Stolz darauf, daß wir dem Teufel die fleischliche Vermischung weggepascht haben, indem wir ein Sakrament, das Sakrament der christlichen Ehe draus machten. Sehr komisch eigentlich, diese Kaperung {273} des Natürlich-Sündhaften für das Sakrosankte durch die bloße Voranstellung des Wortes ›christlich‹, – wodurch sich ja im Grunde nichts ändert. Aber man muß zugeben, daß die Domestizierung des Naturbösen, des Geschlechts durch die christliche Ehe ein gescheiter Notbehelf war.«
»Gern höre ich es nicht«, erwiderte ich, »daß du die Natur dem Bösen vermachst. Der Humanismus, der alte und neue, nennt das die Verleumdung der Quellen des Lebens.«
»Mein Lieber, da gibt es nicht viel zu verleumden.«
»Man gerät«, sagte ich unbeirrt, »damit in die Rolle des Verneiners der Werke, man wird zum Anwalt des Nichts. Wer an den Teufel glaubt, der gehört ihm schon.«
Er lachte kurz auf.
»Du verstehst keinen Spaß. Ich habe doch als Theolog und also notwendig
wie
ein Theolog gesprochen.«
»Laß das gut sein!« sagte ich ebenfalls lachend. »Du pflegst deine Scherze ernster zu meinen als deinen Ernst.«
Wir führten dies Gespräch auf der Gemeindebank unter den Ahornen auf der Höhe des Zionsberges, im herbstlich-nachmittäglichen Sonnenschein. Tatsache war, daß ich damals selbst schon auf Freiersfüßen ging, wenn auch die Hochzeit und selbst die öffentliche Verlobung noch bis zu meiner festen Anstellung zu warten hatten, und daß ich ihm von Helenen und meinem vorhabenden Schritt zu erzählen wünschte. Seine Betrachtungen
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