Doktor Faustus
erleichterten es mir nicht gerade.
»Und sollen sein ein Fleisch«, fing er wieder an. »Ist es nicht ein kurioser Segen? Pastor Schröder hat sich gottlob das Zitat geschenkt. So angesichts des bräutlichen Paars ist es eher peinlich zu hören. Ist aber nur allzu gut gemeint und genau das, was ich Domestizierung nenne. Offenbar soll damit das Element der Sünde, der Sinnlichkeit, der bösen Lust überhaupt aus der Ehe wegeskamotiert werden, – denn Lust ist ja wohl nur bei zweierlei Fleisch, nicht bei einem, und daß sie ein Fleisch sein {274} sollen, ist demnach ein friedlicher Unsinn. Andererseits kann man sich nicht genug darüber wundern, daß ein Fleisch Lust hat zum andern – es ist ja ein Phänomen, – nun ja, das vollkommen exzeptionelle Phänomen der Liebe. Natürlich sind Sinnlichkeit und Liebe auf keine Weise zu trennen. Man entschuldigt die Liebe von dem Vorwurf der Sinnlichkeit am besten, indem man umgekehrt das Liebeselement nachweist in der Sinnlichkeit. Die Lust zu fremdem Fleisch bedeutet eine Überwindung sonst vorhandener Widerstände, die auf der Fremdheit von Ich und Du, des Eigenen und des Anderen beruhen. Das Fleisch – um den christlichen Terminus beizubehalten – ist normalerweise nur sich selber nicht widerwärtig. Mit fremdem will es nichts zu tun haben. Wird auf einmal das fremde zum Objekt der Begierde und Lust, so ist das Verhältnis von Ich und Du in einer Weise alteriert, für die ›Sinnlichkeit‹ nur ein leeres Wort ist. Man kommt nicht ohne den Begriff der Liebe aus, auch wenn angeblich nichts Seelisches dabei im Spiele ist. Jede sinnliche Handlung bedeutet ja Zärtlichkeit, ist Geben im Nehmen der Lust, Glück durch Beglückung, Liebeserweisung. ›Ein Fleisch‹ sind Liebende nie gewesen, und die Verordnung will mit der Lust aus der Ehe die Liebe vertreiben.«
Ich war eigentümlich ergriffen und verwirrt von seinen Worten und hütete mich, ihn von der Seite anzusehen, obwohl ich dazu versucht war. Was man jedesmal empfand, wenn er von voluptuösen Dingen sprach, habe ich weiter oben angedeutet. Er war aber nie so aus sich herausgegangen, und es kam mir vor, als läge in seiner Redeweise etwas fremdartig Explizites, eine leise Taktlosigkeit gegen sich selbst und also auch gegen den Hörer, die mich beunruhigte, zusammen mit der Vorstellung, daß er dies alles mit von der Migräne getrübten Augen gesagt hatte. Dabei war der Sinn seiner Äußerung mir ja durchaus sympathisch.
»Gut gebrüllt, Löwe!« sagte ich so aufgeräumt wie möglich. {275} »Das nenne ich zu den Werken stehen! Nein, mit dem Teufel hast du nichts zu schaffen. Du bist dir doch klar darüber, daß du eben weit mehr als Humanist denn als Theolog gesprochen hast?«
»Sagen wir: als Psycholog«, erwiderte er. »Ein neutraler Mittelstand. Aber es sind das, glaub ich, die wahrheitsliebendsten Leute.«
»Und wie wäre es«, schlug ich vor, »wenn wir einmal ganz schlicht persönlich und bürgerlich sprächen? Ich wollte dir mitteilen, daß ich im Begriffe bin …«
Ich sagte ihm, wozu ich im Begriffe war, erzählte ihm von Helenen, wie ich sie kennen gelernt, wie wir uns gefunden. Wenn ich seine Gratulation dadurch herzlicher gestalten könne, sagte ich, so möge er versichert sein, daß ich ihn von der Teilnahme an den »Tänzen und Bräuchen« meines Hochzeitsfestes im voraus dispensierte.
Er war sehr erheitert.
»Wundervoll!« rief er. »Guter Jüngling, du willst dich ehelich verheiraten. Was für eine rechtschaffene Idee! Dergleichen kommt immer als Überraschung, obgleich so gar nichts Überraschendes dabei ist. Nimm meinen Segen! But, if thou marry hang me by the neck, if horns that year miscarry!«
»Come, come, you talk greasily«, zitierte ich aus derselben Szene. »Wenn du das Mädchen kenntest und den Geist unseres Bündnisses, so wüßtest du, daß für meine Ruhe nichts zu befürchten, sondern daß im Gegenteil alles auf die Gründung von Ruhe und Frieden, eines gesetzten und ungestörten Glückes abgesehen ist.«
»Ich zweifle nicht daran«, sagte er, »und zweifle nicht am Gelingen.«
Einen Augenblick schien er versucht, mir die Hand zu drücken, stand aber ab davon. Das Gespräch ruhte eine Weile und wandte sich, als wir zum Heimweg aufbrachen, wieder dem {276} Hauptgegenstand, der geplanten Oper zu, nämlich der Szene im 4. Akt, mit deren Text wir gescherzt hatten, und die zu denen gehörte, welche ich unbedingt weglassen wollte. Ihr Wortgeplänkel war recht anstößig und
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