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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Drucklegung der Brentano-Gesänge. Schott in Mainz nahm sie in Kommission, das heißt: Adrian hatte, mit Kretzschmars und meiner Hilfe, (wir beteiligten uns beide daran) die Druckkosten zu tragen und blieb Eigentümer, indem er dem Kommissionär einen Gewinnanteil von 20 % an der Netto-Einnahme zusicherte. Er überwachte die Herstellung des Klavierauszugs sehr genau, verlangte ein rauhes, unsatiniertes Papier, Quart-Format, einen breiten Rand, ein nicht zu enges Beieinander der Noten. Dazu bestand er auf dem vorgedruckten Vermerk, daß die Wiedergabe in Konzerten und Vereinen nur mit Bewilligung des Autors und nur im Ganzen, bei Vorführung aller 13 Stücke gestattet sei. Dies wurde ihm als prätentiös verargt und trug zusammen mit den Kühnheiten der Musik dazu bei, den Liedern den Weg in die Öffentlichkeit zu erschweren. 1922 erklangen sie, nicht in Adrians Gegenwart, wohl aber in meiner, in der Tonhalle von Zürich unter dem Stabe des trefflichen Dr. Volkmar Andreae, wobei die Partie des Knaben, der »früh das Bein gebrochen« in den »Lustigen Musikanten« von einem leider wirklich verkrüppelten, an einem Krückchen gehenden Kinde, dem kleinen Jakob Nägli, mit glockenreiner, unbeschreiblich zu Herzen gehender Stimme gesungen wurde.
    Übrigens und ganz nebenbei gesagt, war die hübsche Original-Ausgabe von Clemens Brentanos Gedichten, auf die Adrian sich bei seiner Arbeit stützte, ein Geschenk von mir: aus Naumburg hatte ich ihm das Bändchen nach Leipzig mitgebracht. Selbstverständlich war die Auswahl der 13 Gesänge ganz seine Sache; ich nahm nicht den geringsten Einfluß darauf. Aber ich darf sagen, daß sie fast Stück für Stück meinen Wünschen, meinen Erwartungen entsprach. – Ein unstimmiges Geschenk, so wird der Leser finden; denn was hatte ich, was hatte meine Sittlichkeit und Bildung wohl eigentlich mit den überall aus dem Kindlich-Volksklanglichen ins Geisterhafte {270} entschwebenden, um nicht zu sagen: entartenden Sprachträumereien des Romantikers zu schaffen? Es war die Musik, kann ich darauf nur antworten, die mich zu der Gabe vermochte, – die Musik, die in diesen Versen in so leichtem Schlummer liegt, daß die leiseste Berührung von berufener Hand genügte, sie zu erwecken.

XXII
    Als Leverkühn im September 1910, zu der Zeit also, da ich bereits am Gymnasium von Kaisersaschern zu unterrichten begonnen hatte, Leipzig verließ, wandte er sich zunächst ebenfalls der Heimat zu, nach Buchel, um an seiner Schwester Hochzeit teilzunehmen, die dort eben begangen wurde, und zu der nebst meinen Eltern auch ich geladen war. Ursula, nun zwanzigjährig, vermählte sich dem Optiker Johannes Schneidewein von Langensalza, einem vortrefflichen Mann, dessen Bekanntschaft sie bei dem Besuch einer Freundin in dem reizenden Salza-Städtchen, nahe Erfurt, gemacht hatte. Schneidewein, zehn oder zwölf Jahre älter als seine Braut, war Schweizer von Geburt, aus Berner Bauernblut. Sein Handwerk, die Brillenschleiferei, hatte er in der Heimat erlernt, war aber durch irgendwelche Fügung ins Reich verschlagen worden und hatte an jenem Platz ein Ladengeschäft mit Augengläsern und optischen Apparaten aller Art erworben, das er mit Glück betrieb. Er war von sehr gutem Aussehen und hatte sich seine angenehm zu hörende, bedächtig-würdige, mit stehen geblieben-altdeutschen Ausdrücken von eigentümlich feierlichem Klange durchsetzte schweizerische Redeweise bewahrt, die Ursel Leverkühn schon jetzt von ihm anzunehmen begann. Auch sie, obgleich keine Schönheit, war eine anziehende Erscheinung, in den Gesichtszügen dem Vater, nach der Art sich zu geben der Mutter ähnlicher, braunäugig, schlank und von natürlicher Freundlichkeit. So gaben die beiden ein Paar, auf {271} dem mit Beifall das Auge weilte. In den Jahren von 1911 bis 23 hatten sie vier Kinder mit einander: Rosa, Ezechiel, Raimund und Nepomuk, schmucke Geschöpfe allesamt; der Jüngste aber, Nepomuk, war ein Engel. Doch davon später, ganz gegen das Ende erst meiner Erzählung. –
    Die Hochzeitsgesellschaft war nicht zahlreich: der Geistliche, der Lehrer, der Gemeindevorsteher von Oberweiler mit ihren Frauen; von Kaisersaschern außer uns Zeitbloms nur Oheim Nikolaus; Verwandte Frau Elsbeths aus Apolda; ein den Leverkühns befreundetes Ehepaar mit Tochter aus Weißenfels; dazu Bruder Georg, der Agronom, und die Verwalterin, Frau Luder, – das war schon alles. Wendell Kretzschmar sandte von Lübeck ein Glückwunschtelegramm, das während des

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