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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Minuten Weges vom Buchel-Hause entfernt lag, gedachte ich schon flüchtig. Er hieß die »Kuhmulde«, wohl wegen seiner oblongen Gestalt und weil gern die Kühe an sein Ufer zur Tränke schritten, und hatte, ich weiß nicht warum, auffallend kaltes Wasser, so daß wir nur, wenn die Sonne sehr lange darauf gestanden, zu Nachmittagsstunden, darin baden durften. Den Hügel angehend, so war es bis zu ihm schon ein – gern unternommener – Spaziergang von einer halben Stunde. Die Anhöhe hieß, gewiß seit sehr alten Tagen, aber ganz unangemessenerweise, der »Zionsberg« und war zur Winterszeit, die mich aber selten dort draußen sah, zum Rodeln gut. Im Sommer bot sie, mit dem Kranze schattender Ahorne auf ihrem »Gipfel« und der dort auf Gemeindekosten errichteten Ruhebank einen luftigen, übersichtlichen Aufenthalt, dessen ich mich an Sonntag-Nachmittagen, vor der Abendmahlzeit, zusammen mit der Leverkühnschen Familie oft erfreute.
    Nun stehe ich aber unter dem Zwange, das Folgende anzumerken. Der landschaftlich-häusliche Rahmen, in den Adrian später, als reifer Mann, sein Leben stellte, nämlich als er zu Pfeiffering bei Waldshut in Oberbayern im Hause der Schwei {44} gestills sein Dauerquartier hatte, stand zu demjenigen seiner Kindheit in der seltsamsten Ähnlichkeits- und Wiederholungsbeziehung, anders gesagt: der Schauplatz seiner späteren Tage war eine kuriose Nachahmung desjenigen seiner Frühzeit. Nicht genug, daß die Gegend von Pfeiffering (oder Pfeffering, die Schreibweise stand nicht ganz fest) einen mit einer Gemeindebank geschmückten Hügel aufwies, der allerdings nicht »Zionsberg«, sondern »der Rohmbühel« hieß; nicht genug, daß auch, und zwar in ziemlich gleicher Entfernung vom Wirtshofe, wie die »Kuhmulde«, ein Teich vorhanden war, hier der »Klammerweiher« geheißen und ebenfalls sehr kalten Wassers. Nein, auch Haus, Hof und Familienverhältnisse korrespondierten schlagend mit denen von Buchel. Auf dem Hof wuchs ein Baum, auch etwas hinderlich und auch aus Gemütsgründen bewahrt, – es war keine Linde, es war eine Ulme. Zugegeben, daß charakteristische Unterschiede zwischen der Bauart des Hauses Schweigestill und derjenigen von Adrians Elternhaus bestanden, da jenes ein altes Klostergebäude mit dicken Mauern, tiefen, gewölbten Fensternischen und etwas moderigen Korridorgängen war. Aber die Knasterwürze der Pfeife des Hauswirtes schwängerte hier wie dort die Atmosphäre der unteren Räume, und dieser Hauswirt und seine Wirtin, Frau Schweigestill, waren »Eltern«, das heißt: sie waren ein langgesichtiger, eher wortkarger, sinnig-geruhiger Ackerbürger und eine auch schon zu Jahren gekommene, allenfalls etwas überstattliche, aber reinproportionierte, geweckte, energisch zugreifende Frau mit straff angezogenem Scheitel und wohlgebildeten Händen und Füßen, – die übrigens einen erwachsenen Erbsohn hatten, Gereon (nicht Georg) mit Namen, einen in Dingen der Wirtschaft sehr fortschrittlich gesinnten, auf neue Maschinen bedachten jungen Mann, und eine nachgeborene Tochter, Clementine genannt. Der Hofhund in Pfeiffering konnte ebenfalls lachen, wenn er auch nicht Suso, son {45} dern Kaschperl hieß, wenigstens ursprünglich so geheißen hatte. Über dieses »ursprünglich« hatte nämlich der Mietgast des Hauses seine eigenen Ansichten, und ich war Zeuge des Vorganges, daß unter seinem Einfluß der Name Kaschperl allmählich zur bloßen Erinnerung wurde und der Hund selber schließlich lieber auf »Suso« hörte. – Ein zweiter Sohn war nicht vorhanden, was aber die Repetition eher bekräftigte, als daß es sie abgeschwächt hätte; denn wer hätte dieser zweite Sohn sein sollen?
    Ich habe über diesen ganzen, sich aufdrängenden Parallelismus mit Adrian niemals gesprochen; ich tat es frühe nicht und mochte es darum später nicht mehr tun; aber gefallen hat die Erscheinung mir niemals. Eine solche das Früheste wiederherstellende Aufenthaltswahl, dieses sich-Bergen im Ältest-Abgelebten der Kindheit, oder wenigstens ihren äußeren Umständen, mag von Anhänglichkeit zeugen, sagt aber doch Beklemmendes aus über eines Mannes Seelenleben. In Leverkühns Fall war es um so befremdender, als ich nie beobachtet habe, daß sein Verhältnis zum Elternhause besonders innig und gemütsbetont gewesen wäre, und er sich zeitig schon, ohne sichtlichen Schmerz, davon löste. Handelte es sich bei jener künstlichen »Rückkehr« um ein bloßes Spiel? Ich kann es nicht glauben. Mich

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