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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Ahnungslosigkeit des alternden Mädchens. Ihr Geist hatte etwas Flatterndes, drollig Konfuses, worüber sie selbst aufs herzlichste lachte, – keineswegs in der Art, wie Leo Zink sich durch Selbstverspottung insinuierte, sondern ganz reinen und amüsablen Herzens. Zu alldem war sie sehr musikalisch, Pianistin, für Chopin entflammt, um Schubert literarisch bemüht, befreundet mit mehr als einem zeitgenössischen Namensträger im Reich der Musik, und ein befriedigender Austausch über Mozarts Polyphonie und sein Verhältnis zu Bach war der erste gewesen, der zwischen ihr und Adrian gepflogen worden. Er war und blieb ihr durch viele Jahre vertrauensvoll zugetan.
    Übrigens wird niemand erwarten, daß die Stadt, die er sich zum Aufenthalt gewählt, ihn wirklich in ihre Atmosphäre aufnahm, daß sie ihn je zu dem Ihren machte. Ihre Schönheit, die monumentale und bergbachdurchrauschte Dörflichkeit des Stadtbildes unter föhnblauem Alpenhimmel mochte auch seinem Auge wohltun, die Bequemlichkeit ihrer Sitten, die etwas von permanenter Maskenfreiheit hatte, auch ihm das Dasein leichter machen. Ihr Geist – sit venia verbo! – ihre töricht harmlose Lebensstimmung, die sinnlich-dekorative und karnevalistische Kunstgesinnung dieses selbstvergnügten Capua mußte einem tiefen und strengen Menschen wie ihm in der Seele fremd bleiben, – es war dies Stadtwesen ganz der rechte Gegenstand für den Blick, den ich seit Jahr und Tag an ihm kannte, den verschleierten, kalten und sinnend entfernten, dem das lächelnde Sichabwenden folgte.
    Wovon ich spreche, ist das München der späten Regentschaft, nur vier Jahre noch vom Kriege entfernt, dessen Folgen seine Gemütlichkeit in Gemütskrankheit verwandeln und eine trübe Groteske nach der anderen darin zeitigen sollten, – diese perspektivenschöne Hauptstadt, deren politische Problematik {296} sich auf den launigen Gegensatz zwischen einem halb separatistischen Volkskatholizismus und einem lebfrischen Liberalismus reichsfrommer Observanz beschränkte, – München mit seinen Wachtparade-Konzerten in der Feldherrenhalle, seinen Kunstläden, Dekorationsgeschäftspalästen und Saison-Ausstellungen, seinen Bauernbällen im Fasching, seiner Märzenbier-Dicktrunkenheit, der wochenlangen Monstre-Kirmes seiner Oktoberwiese, wo eine trotzig-fidele Volkhaftigkeit, korrumpiert ja doch längst von modernem Massenbetrieb, ihre Saturnalien feierte; München mit seiner stehengebliebenen Wagnerei, seinen esoterischen Koterien, die hinter dem Siegestor ästhetische Abendfeiern zelebrierten, seiner in öffentliches Wohlwollen gebetteten und grundbehaglichen Bohême. Adrian sah das alles an, wandelte darin, kostete davon während der neun Monate, die er für diesmal in Oberbayern verbrachte, einen Herbst, einen Winter, ein Frühjahr hindurch. Auf Künstlerfesten, die er mit Schildknapp besuchte, im Illusionsdämmer stilvoll dekorierter Säle, traf er mit Zugehörigen des Rodde'schen Kreises, den jungen Schauspielern, den Knöterichs, Dr. Kranich, Zink und Spengler, den Töchtern des Hauses selbst wieder zusammen, saß mit Clarissa und Ines, dazu mit Rüdiger, Spengler und Kranich, auch wohl mit Jeanette Scheurl an einem Tische zusammen, von welchem Schwerdtfeger, als Bauernbursch gekleidet oder in der Tracht des florentinischen 15. Jahrhunderts, die seinen hübschen Beinen zustatten kam und ihn Botticellis Jünglingsportrait mit der roten Mütze nicht unähnlich machte, – in Festlust aufgelöst und des Bedürfnisses sich geistig zu heben nun einmal gänzlich vergessen, die Rodde'schen Mädchen »in netter Weise« zum Tanze holte. »In netter Weise« war seine Vorzugsredensart; er hielt darauf, daß alles in Nettigkeit geschähe und unnette Unterlassungen vermieden würden. Er hatte viele Verpflichtungen und dringende Flirt-Interessen im Saal, aber es wäre ihm wenig nett erschie {297} nen, die Damen der Rambergstraße, mit denen er auf eher geschwisterlichem Fuße stand, ganz zu vernachlässigen, und diese Nettigkeitsbeflissenheit war auch so sichtbar in seiner geschäftigen Annäherung, daß Clarissa hochmütig sagte:
    »Lieber Gott, Rudolf, wenn Sie nur nicht eine so strahlende Erlösermiene aufsetzen wollten, sobald Sie kommen! Ich versichere Sie, wir haben genug getanzt und brauchen Sie gar nicht.«
    »Brauchen?« erwiderte er lustig entrüstet mit seiner etwas gaumigen Stimme. »Und die Bedürfnisse
meines
Herzens sollen wohl überhaupt nicht gelten?«
    »Keinen Pfifferling«, sagte

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