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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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voraus beglichen sei, dann sei sie quitt gewesen und habe das Ihre dahin gehabt.
    Man besuchte den Kuhstall, sah bei den Rössern ein und tat einen Blick in den Schweinekoben, während die Wirtin von dem Fräulein erzählte, das sie beherbergt. Auch zu den Hühnern ging man und zu den Bienen hinter dem Hause, und dann fragten die Freunde nach ihrer Zeche, die aber für Null erklärt wurde. Sie dankten für alles und radelten nach Waldshut zurück, ihren Zug zu gewinnen. Daß der Tag nicht verloren gewesen und Pfeiffering ein bemerkenswerter Flecken sei, darin stimmten sie überein.
    Adrians Seele bewahrte das Bild dieser Örtlichkeit, ohne daß es vorläufig seine Entschlüsse bestimmt hätte. Er wollte fort, aber weiter fort, als bloß eine Eisenbahnstunde gegen die Berge. {307} Von der Musik zu »Love's Labour lost« war damals die Klavierskizze der exponierenden Szenen geschrieben; aber die Arbeit stockte; die parodistische Künstlichkeit des Stils war schwer durchzuhalten, sie bedingte eine stets sich erneuernde Exzentrizität der Laune und machte den Wunsch nach Fernluft, tieferer Fremde der Umgebung rege. Unruhe beherrschte ihn. Seines Familienzimmers in der Rambergstraße, das ihm nur unsichere Einsamkeit bot, und in das plötzlich jemand eintreten mochte, um ihn zur Gesellschaft zu rufen, war er müde. »Ich suche«, schrieb er mir, »frage innerlich in der Welt herum und lausche auf Weisung nach einem Ort, wo ich mich recht vor der Welt vergraben und ungestört mit meinem Leben, meinem Schicksal Zwiesprache halten könnte …« Seltsame, ominöse Worte! Soll mir nicht kalt werden in der Magengrube, mir die Schreibhand nicht zittern bei dem Gedanken, für welche Zwiesprache, welche Begegnung und Abrede er, bewußt oder unbewußt, den Schauplatz suchte?
    Es war Italien, für das er sich entschloß, und wohin er, zu touristisch ungewöhnlicher Jahreszeit, just als der Sommer kam, gegen Ende Juni, aufbrach. Rüdiger Schildknapp hatte er zum Mitkommen beredet.

XXIV
    Als ich in den großen Ferien 1912, noch von Kaisersaschern aus, mit meiner jungen Gattin Adrian und Schildknapp in dem sabinischen Bergnest besuchte, das sie sich zum Aufenthalt gewählt hatten, war es schon der zweite Sommer, den die Freunde dort verlebten: Sie hatten den Winter in Rom zugebracht und im Mai, als die Wärme wuchs, das Gebirge und dasselbe gastliche Haus wieder aufgesucht, wo sie voriges Jahr während eines Aufenthalts von drei Monaten sich heimisch zu fühlen gelernt hatten.
    {308} Der Ort war Palestrina, die Geburtsstätte des Komponisten, Praeneste mit ihrem antiken Namen und als Penestrino, Trutzburg der Fürsten Colonna, von Dante im 27. Gesange des Inferno erwähnt, – eine pittoresk am Berge lehnende Siedlung, in welche vom unteren Kirchplatz eine von den Häusern beschattete, nicht eben reinliche Treppengasse hineinführte. Eine Sorte kleiner schwarzer Schweine lief darauf herum, und leicht konnte von den breitbepackten Eseln einer, die dort ebenfalls auf und ab schritten, mit seiner ausladenden Last den unachtsamen Fußgänger an die Häuserwand drücken. Über die Ortschaft hinaus führte die Straße als Bergsteig weiter, an einem Kapuzinerkloster vorbei auf den Gipfel des Hügels zu der nur noch in geringen Trümmern vorhandenen Akropolis, bei der auch die Ruinen eines antiken Theaters gelegen waren. Helene und ich stiegen während unseres kurzen Aufenthalts mehrmals zu diesen würdigen Resten hinauf, während Adrian, der ja »nichts sehen wollte«, in Monaten nie über den schattigen Garten der Kapuziner, seinen Lieblingsaufenthalt, hinausgelangt war.
    Das Haus Manardi, Adrians und Rüdigers Herberge, war wohl das stattlichste am Platze und bot, obgleich die Familie sechs Köpfe zählte, auch uns Hospitanten noch mühelos Unterkunft. An der Stufengasse gelegen, war es ein massiver und ernster, fast palazzo- oder kastellartiger Bau, den ich auf das zweite Drittel des 17. Jahrhunderts schätzte, mit kargem Gesimseschmuck unter dem flachen und wenig vorspringenden Schindeldach, kleinen Fenstern und einem im Geschmack des Früh-Barock dekorierten Haustor, in dessen Bretterverschalung die eigentliche, mit einer Bimmelglocke versehene Eingangstür geschnitten war. Unseren Freunden hatte man ein geradezu weitläufiges Bereich zu ebener Erde eingeräumt, bestehend aus einem zweifenstrigen Wohnraum von saalmäßigen Proportionen, mit steinernem Fußboden, wie alle Zimmer {309} des Hauses, verschattet, kühl, ein wenig dunkel

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