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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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und sehr einfach mit Strohstühlen und Roßhaarsofas möbliert, aber in der Tat so ausgedehnt, daß zwei Personen dort, ungestört der eine vom anderen, durch beträchtliche Räume getrennt, ihren Beschäftigungen nachgehen konnten. Daran stießen die geräumigen, wenn auch gleichfalls sehr schlicht ausgestatteten Schlafzimmer, von denen uns Gästen ein ebensolches drittes eröffnet wurde.
    Das Familieneßzimmer nebst anstoßender Küche, die viel größer war als jenes, und in der man Freunde aus dem Städtchen empfing, mit düster gewaltigem Rauchfang und vollgehängt mit märchenhaften Schöpflöffeln sowie Tranchiergabeln und -messern, die einem Oger hätten gehören können, die Borte angefüllt mit Kupfergerät, Tiegeln, Schüsseln, Platten, Terrinen und Mörsern, lagen im Oberstock, und hier waltete Signora Manardi, von den Ihren Nella genannt – ich glaube, sie hieß Peronella –, eine stattliche Matrone römischen Typs, mit gewölbter Oberlippe, – nicht sehr brünett, nur kastanienbraun die guten Augen und der silbrig durchwirkte, glatt und fest gezogene Scheitel, ländlich schlicht und tüchtig die ebenmäßig füllige Erscheinung, – oft sah man sie die kleinen, aber arbeitsgewohnten Hände mit dem doppelten Witwenreif an der rechten in die rüstigen, vom Schürzenbund fest umspannten Hüften stemmen.
    Aus ihrer Ehe war ihr eine junge Tochter geblieben, Amelia, dreizehn oder vierzehn Jahre alt, ein leicht zum Närrischen geneigtes Kind, das die Gewohnheit hatte, bei Tische den Löffel oder die Gabel vor ihren Augen hin und her zu bewegen und dabei irgend ein Wort, das ihr im Sinn hängen geblieben, mit fragender Betonung wiederholt vor sich hin zu sprechen. So hatte vor Jahr und Tag eine vornehme russische Familie bei Manardis logiert, deren Oberhaupt, der Graf oder Fürst, ein Gespensterseher gewesen war und den Hausbewohnern von {310} Zeit zu Zeit unruhige Nächte bereitet hatte, indem er nach wandelnden Geistern, die ihn in seinem Schlafzimmer heimgesucht, mit der Pistole geschossen hatte. Aus dieser begreiflicherweise lebendig gebliebenen Erinnerung erklärte es sich, daß Amelia oft und beharrlich ihren Löffel befragte: »Spiriti? Spiriti?« Aber Geringeres schon vermochte sie tiefsinnig zu fixieren. Es war vorgekommen, daß ein deutscher Tourist das Wort »Melone«, im italienischen männlichen Geschlechts, nach deutschem Muster als weiblich behandelt hatte, und nun saß das Kind, mit dem Kopfe wackelnd und mit den betrübten Augen den Bewegungen des Löffels folgend, und murmelte: »La melona? La melona?« Signora Peronella und ihre Brüder übersahen und überhörten dies Betragen als etwas Altgewohntes und lächelten nur etwa dem Gast, wenn sie sein Befremden sahen, mehr gerührt und zärtlich, als entschuldigend, ja fast glücklich zu, so, als handelte es sich um etwas Liebliches. Auch Helene und ich hatten uns bald an Amelias dumpfe Betrachtungen bei Tische gewöhnt. Adrian und Schildknapp nahmen sie schon überhaupt nicht mehr wahr.
    Die Brüder der Hausfrau, von denen ich sprach, und zwischen denen sie dem Alter nach ungefähr die Mitte hielt, waren: der Advokat Ercolano Manardi, meist kurz und mit Genugtuung l'avvocato genannt, der Stolz der sonst ländlich schlichten und ungelehrten Familie, ein Mann von sechzig, mit struppigem grauen Schnurrbart und heiser heulender Stimme, die mühsam ansetzte wie die eines Esels, – und Sor Alfonso, der Jüngere, etwa Mitte vierzig, von den Seinen vertraulich »Alfo« angeredet, ein Landmann, den wir, von unserem Nachmittagsspaziergang in die Campagna nach Hause zurückkehrend, auf seinem kleinen Langohr, die Füße beinahe am Boden, unter einem Sonnenschirm und die blaue Schutzbrille auf der Nase, von seinen Feldern heimreiten sahen. Der Advokat übte allem Anschein nach seinen Beruf nicht mehr aus, sondern las nur {311} noch die Zeitung, – dies allerdings unausgesetzt, wobei er sich an heißen Tagen erlaubte, in seinem Zimmer bei offener Tür in Unterhosen zu sitzen. Er zog sich dadurch die Mißbilligung Sor Alfos zu, der fand, daß der Rechtsgelehrte – »quest'uomo« sagte er bei solcher Gelegenheit – sich zuviel damit herausnähme. Laut tadelte er, hinter dem Rücken des Bruders, die herausfordernde Lizenz und ließ sich nicht umstimmen durch die begütigenden Worte der Schwester, die vorbrachte, daß die Vollblütigkeit des Advokaten und die Gefahr, in der er schwebe, durch die Hitze einen apoplektischen Anfall zu erleiden, ihm

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