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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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eine leichte Bekleidung zur Notwendigkeit mache. Dann solle quest'uomo wenigstens die Tür geschlossen halten, versetzte Alfo, statt sich in so überbequemem Zustand den Blicken der Seinen und der distinti forestieri auszusetzen. Höhere Bildung rechtfertige nicht eine so anmaßende Nachlässigkeit. Es war klar, daß eine gewisse Animosität des Contadino gegen das studierte Familienmitglied sich hier unter einem allerdings gut gewählten Vorwande Luft machte, obgleich – oder eben weil – Sor Alfo die Bewunderung aller Manardis für den Advokaten, in dem sie eine Art Staatsmann sahen, in tiefster Seele teilte. Es gingen aber auch die Weltansichten der Brüder vielfach auseinander, denn der Advokat war von eher konservativer, würdig devoter Gesinnung, Alfonso dagegen ein Freigeist, libero pensatore und Kritikus, aufsässig gesinnt gegen Kirche, Königtum und governo, die er sämtlich als schwer durchsetzt von skandalöser Verderbnis schilderte. »Ha capito, che sacco di birbaccione?« »Hast du verstanden, was für ein Sack voll Spitzbüberei?« pflegte er seine Anklagen zu schließen, – viel mundfertiger als der Advokat, der sich nach wenigen Ansätzen krächzenden Protestes ärgerlich hinter seine Zeitung zurückzog.
    Noch ein Vetter der drei Geschwister, ein Bruder von Frau Nellas verstorbenem Gatten, Dario Manardi, ein sanfter und {312} graubärtiger am Stocke gehender Mann von ländlichem Typ, lebte mit seiner unscheinbaren und kränklichen Gattin in dem Familienhaus. Diese aber führten ihren eigenen Tisch, während uns Sieben, die Brüder, Amelia, die beiden Dauergäste und das Besucher-Paar, Signora Peronella mit einer Freigebigkeit, die zu dem bescheidenen Pensionspreis in keinem Verhältnis stand, aus ihrer romantischen Küche verpflegte, – unermüdlich in Angeboten. Denn, wenn wir schon eine gehaltvolle Minestra, Singvögelchen mit Polenta, Scaloppini in Marsala, ein Hammelgericht oder Wildschwein mit süßer Zukost, auch viel Salat, Käse und Früchte genossen und unsere Freunde zum schwarzen Kaffee ihre Regie-Zigaretten angezündet hatten, so konnte sie im Ton eines anregenden Vorschlags und guten Einfalls fragen: »Signori, jetzt – ein wenig Fisch?« – Ein purpurner Landwein, den der Advokat unter Krächzen in großen Schlucken wie Wasser trank, ein Gewächs, zu heiß eigentlich, um sich als täglich zweimaliges Tafelgetränk zu empfehlen, und zu schade wiederum, ihn zu verwässern, diente uns, unseren Durst zu stillen. Ihm zuzusprechen, ermahnte uns die Padrona mit den Worten: »Trinkt! Trinkt! Fa sangue il vino.« Doch verwies ihr Alfonso diese Lehre als Aberglauben.
    Die Nachmittage führten uns auf schönen Spaziergängen, bei denen manch herzliches Lachen über Rüdiger Schildknapps angelsächsische Späße erscholl, talwärts, auf von Maulbeerbüschen gesäumten Wegen, ein Stück in das wohlbestellte Land hinaus, mit seinen Ölbäumen und Weinguirlanden, seinen in Gütchen aufgeteilten Fruchtfeldern, von Mauern eingefaßt, in denen fast monumentale Eingangstore sich eröffneten. Muß ich sagen, wie sehr mich, den das Wiederzusammensein mit Adrian ohnedies bewegte, der klassische Himmel, an dem während der Wochen unseres Aufenthaltes kein Wölkchen erschien, die antikische Stimmung wieder beglückte, die {313} über dem Lande lag und je und je, in einem Brunnenrand, einer malerischen Hirtengestalt, in dem dämonischen Pan-Haupt eines Ziegenbocks bildhaft wurde? Es versteht sich, daß Adrian nur mit lächelndem Kopfnicken, nicht ohne Ironie, das Entzücken meines Humanistenherzens teilte. Diese Künstler geben wenig acht auf eine umgebende Gegenwart, die zu der Arbeitswelt, in der sie leben, nicht in direkter Beziehung steht, und in der sie folglich nicht mehr, als einen indifferenten, der Produktion mehr oder weniger günstigen Lebensrahmen sehen. – Wir blickten gegen den Sonnenuntergang, wenn wir zum Städtchen zurückkehrten, und eine ähnliche Pracht des Abendhimmels habe ich nie gesehen. Eine ölig dick aufgetragene Goldschicht schwamm, von Karmesin umgeben, am westlichen Horizont, – durchaus phänomenal und so schön, daß der Anblick die Seele wohl mit einem gewissen Übermut erfüllen konnte. Dennoch war es mir leise unlieb, wenn Schildknapp, auf die wundervolle Darbietung hinweisend, sein »Besichtigen Sie jenes!« rief und Adrian in das dankbare Lachen ausbrach, das Rüdigers Humoristica ihm immer entlockten. Denn mir schien, daß er die Gelegenheit wahrnahm, über

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