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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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hatte.
    Ich weiß nicht, wie weit Adrian damals etwas »merkte«, ob er sofort oder erst allmählich, nachträglich und in erinnerndem Abstand gewisse Verhältnisse, in eine andere, aber nicht ferne Tonart transponiert, wieder erkannte. Ich neige zu dem Glauben, daß ihm die Entdeckung zunächst unbewußt blieb, und daß sie ihm später erst, vielleicht im Traum, überraschend aufging. Jedenfalls äußerte er zu Schildknapp keine Silbe, wie er {300} ja auch gegen mich der sonderbaren Entsprechung niemals gedacht hat. Aber selbstverständlich kann ich mich irren. Weiher und Hügel, der riesige alte Baum im Hof – allerdings eine Ulme – mit seiner grüngestrichenen Rundbank, und weitere, noch hinzukommende Einzelheiten mögen auf den ersten Blick frappierend gewirkt haben; kein Traum mag nötig gewesen sein, ihm die Augen zu öffnen, und daß er nichts sagte, beweist ganz gewiß nicht das Geringste.
    Es war Frau Else Schweigestill, die den Besuchern im Haustor stattlich entgegentrat, sie freundlich anhörte und ihnen in hohen Gläsern mit langgestielten Löffeln die Limonade mischte. Sie kredenzte sie ihnen in einer fast saalartigen, gewölbten guten Stube links an der Diele, einer Art von Bauernsalon mit gewaltigem Tisch, Fensternischen, die die Dicke der Mauern erkennen ließen, und der geflügelten Nike von Samothrake in Gips oben auf dem buntbemalten Spind. Auch ein braunes Tafelklavier stand in dem Saal. Er werde nicht von der Familie benutzt, erklärte Frau Schweigestill, indem sie sich zu ihren Gästen setzte; der diene ein kleineres Zimmer schräg gegenüber, gleich bei der Haustür, zum abendlichen Aufenthalt. Das Haus biete viel überflüssigen Raum; weiterhin an dieser Seite gebe es noch ein ansehnliches Gelaß, die sogenannte Abtsstube, wohl so genannt, weil es dem Vorsteher der Augustiner-Mönche, die hier einst gewirtschaftet, als Studio gedient habe. Daß der Hof ein Klostergut gewesen war, bestätigte sie damit. Seit drei Generationen saßen die Schweigestills darauf.
    Adrian erwähnte, daß er selbst vom Lande stamme, allerdings schon lange in Städten lebe, erkundigte sich, wieviel Grund das Gut umfasse, und erfuhr, daß es rund vierzig Tagwerk Äcker und Wiesen nebst einem Walde seien. Auch die an dem freien Platz gegenüber dem Hof gelegenen niederen Gebäude mit den Kastanien davor gehörten zu dem Besitztum. Ehemals hätten dienende Brüder dort gewohnt, jetzt ständen {301} sie fast immer leer und seien auch kaum zum Wohnen eingerichtet. Vorvorigen Sommer habe ein Kunstmaler aus München sich dort eingemietet, der in der Umgegend, dem Waldshuter Moor und so weiter, habe landschaftern wollen und auch mehrere hübsche Ansichten, allerdings etwas traurig, grau in grau gemalt, zustande gebracht habe. Drei davon seien im Glaspalast ausgestellt gewesen, wo sie sie selbst wieder gesehen, und eine habe Direktor Stiglmayer von der Bayerischen Wechselbank käuflich erworben. Die Herren seien wohl auch Kunstmaler?
    Sie mochte auf jenen Mieter nur zu sprechen gekommen sein, um die Vermutung zu äußern und heraus zu bekommen, mit wem sie es ungefähr zu tun habe. Als sie erfuhr, daß es sich um einen Schriftsteller und einen Musiker handelte, hob sie respektvoll die Brauen und meinte, das sei seltener und interessanter. Kunstmaler gebe es wie Gänseblumen. Die Herren seien ihr auch gleich recht ernst vorgekommen, wo doch die Kunstmaler meistens ein lockeres, sorgloses Völkchen seien, ohne viel Sinn für den Ernst des Lebens, – sie meine nicht den praktischen Ernst, das Geldverdienen und diese Dinge, sondern, wenn sie Ernst sage, meine sie eher das Schwere des Lebens, seine dunklen Seiten. Übrigens wolle sie der Gattung der Kunstmaler nicht Unrecht tun, denn ihr Mieter von damals, zum Beispiel, habe schon gleich eine Ausnahme von der Vergnügtheit gemacht und sei ein sehr stiller, verschlossener Mann gewesen, eher von schwerem Mut, – danach hätten ja auch seine Bilder, die Moorstimmungen und einsamen Waldwiesen im Nebel, ausgesehen, ja man dürfe sich wundern, daß Direktor Stiglmayer sich eines davon, und gerade das allerdüsterste, zum Kaufe ausersehen habe: er müsse, obgleich Finanzmann, selbst einen Stich ins Melancholische haben.
    Aufrecht, den braunen, nur leicht mêlierten Scheitel glatt und fest angezogen, so daß man die weiße Kopfhaut sah, in {302} ihrer gewürfelten Wirtschaftsschürze, eine ovale Brosche am runden Halsausschnitt, saß sie bei ihnen, die kleinen, wohlgeformten und

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