Doktor Faustus
tüchtigen Hände, deren rechte den glatten Ehereif trug, auf der Tischplatte zusammengefügt.
Sie habe die Künstler gern, sagte sie in ihrer mit »halt« und »fei« und »Gellen's ja?« dialekthaft gefärbten, aber doch recht geläuterten Sprechweise, denn sie seien Leute von Verständnis, und Verständnis sei im Leben das Allerbeste und Wichtigste, – die Lustigkeit der Kunstmaler beruhe im Grunde wohl auch darauf, es gebe eben eine lustige und eine ernste Art des Verständnisses, und noch nicht heraus sei, welcher der Vorzug gebühre. Vielleicht sei das Passendste etwas Drittes: ein ruhiges Verständnis. Künstler müßten natürlich in der Stadt leben, weil dort die Kultur statthabe, mit der sie es zu tun hätten; eigentlich aber gehörten sie mit Bauersleuten, die in der Natur und darum dem Verständnis näher lebten, viel richtiger zusammen, als mit den Stadtbürgern, deren Verständnis entweder verkümmert sei, oder die es um der bürgerlichen Ordnung willen unterdrücken müßten, was aber eben auf Verkümmerung hinauslaufe. Sie wolle aber auch gegen die Stadtleute nicht ungerecht sein; immer gebe es Ausnahmen, vielleicht heimliche Ausnahmen, und Direktor Stiglmayer, um ihn wieder zu nennen, habe durch den Ankauf jenes schwermütigen Bildes viel Verständnis, und zwar nicht nur künstlerisches, bewiesen.
Hierauf bot sie ihren Gästen Kaffee und Pfundskuchen an, aber Schildknapp und Adrian wollten die ihnen verbleibende Zeit lieber dazu benutzen, einen Blick auf Haus und Hof zu werfen, wenn sie so freundlich sein wolle, sie ihnen zu zeigen.
»Gern«, sagte sie. »Nur schad', daß mein Max« (das war Herr Schweigestill) »draußen ist auf dem Feld mit Gereon, das ist unser Sohn. Sie wollten eine neue Düngerstreu-Maschine ausprobieren, die der Gereon angeschafft hat. Müssen die Herren halt vorlieb nehmen mit mir.«
{303} Das könne man nicht vorlieb nehmen nennen, antworteten sie und gingen mit ihr durch das gediegene Haus, sahen gleich vorn die Familienwohnstube an, wo der Pfeifenknastergeruch, den man überall spürte, am eingesessensten war; und weiterhin dann die Abtsstube, einen sympathischen Raum, nicht gar groß und hinter dem Stil der Außenarchitektur des Hauses etwas zurück, im Charakter eher von 1600, als von 1700, getäfelt, mit teppichlosem Bretterboden und einer gepreßten Ledertapete unter der Balkendecke, mit Heiligenbildern an den Wänden der flachgewölbten Fensternische und in Bleiringe gefaßten Scheiben, in welche Vierecke aus bunter Glasmalerei eingelassen waren; mit einer Wandnische, in der ein kupferner Wasserkessel über einem ebensolchen Becken hing, und einem Wandschrank, der mit eisernen Spangen und Schlössern beschlagen war. Es gab eine Eckbank, mit Lederkissen belegt, und einen schweren eichenen Tisch nicht weit vom Fenster, kastenartig gebaut, mit tiefen Schubladen unter der polierten Platte. Sie zeigte ein vertieftes Mittelstück, einen höheren Rand, und ein geschnitztes Studienpult war ihr aufgesetzt. Darüber schwebte von der Balkendecke ein riesiger Kronleuchter, in dem noch Reste von Wachskerzen staken, ein unregelmäßig ausladendes, in Hörner, Geweihschaufeln und sonstige phantastische Bildungen nach allen Seiten endendes Dekorationsstück der Renaissance.
Die Besucher lobten die Abtsstube aufrichtig. Schildknapp meinte sogar mit nachdenklichem Kopfnicken, daß man sich hier niederlassen, hier leben sollte, aber Frau Schweigestill hatte Zweifel, ob es für einen Schriftsteller nicht zu einsam sein würde, zu fern von Leben und Kultur. Auch die Treppe hinauf, in den Oberstock, führte sie ihre Gäste, um ihnen ein paar von den zahlreichen Schlafzimmern zu zeigen, die sich dort an dem geweißten, moderig riechenden Korridor aneinander reihten. Sie waren mit Bettstellen und Kästen im Geschmack des bunten {304} Spindes im Saal ausgestattet, und nur in einigen war aufgebettet: turmhoch nach Bauerngeschmack, mit plustrigen Federdeckbetten. »Wieviele Schlafzimmer!« sagten die beiden. Ja, die stünden meistens fast alle leer, erwiderte die Wirtin. Vorübergehend nur sei eines oder das andere bewohnt gewesen. Zwei Jahre lang, noch bis vorigen Herbst, habe eine Baronin von Handschuchsheim hier gelebt und sei durch das Haus gewandelt, eine Dame, deren Gedanken, wie Frau Schweigestill sich ausdrückte, nicht recht mit denen der übrigen Welt hätten übereinstimmen wollen, und die vor dieser Unstimmigkeit hier Schutz gesucht habe. Sie selbst sei recht gut mit ihr
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