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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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ausgekommen, habe sich gern mit ihr unterhalten, und manchmal sei es ihr gelungen, sie über ihre abweichenden Ideen selbst zum Lachen zu bringen. Aber leider seien diese doch eben weder zu beseitigen noch im Wachstum aufzuhalten gewesen, so daß man die liebe Baronin schließlich in sachgemäße Pflege habe geben müssen.
    Hiervon erzählte Frau Schweigestill schon beim Wiederzurücklegen der Treppe und während man auf den Hof hinaustrat, um auch in die Ställe noch einen Blick zu tun. Ein andermal, sagte sie, noch früher, sei eines der vielen Schlafzimmer von einem Fräulein der besten Gesellschaftskreise besetzt gewesen, die hier ihr Kind zur Welt gebracht habe, – da sie mit Künstlern rede, könne sie ja die Dinge, wenn auch nicht die Personen, bei Namen nennen. Der Vater des Fräuleins habe dem hohen Richterstande angehört, droben in Bayreuth, und habe sich ein elektrisches Automobil angeschafft, das sei der Anfang aller Heimsuchung gewesen. Denn auch einen Chauffeur habe er dazu gemietet, der ihn zu Amte habe fahren müssen, und dieser junge Mann, gar nichts Besonderes, nur gerade schmuck in seiner Litzen-Livree, habe es dem Fräulein bis zur Selbstvergessenheit angetan. Sie habe ein Kind von ihm empfangen, und wie das klar und deutlich geworden sei, habe es {305} Ausbrüche von Wut und Verzweiflung, von Händeringen und Haareraufen, von Fluch, Jammer und Schimpf bei den Eltern gegeben, wie man es gar nicht für möglich halten sollte. Verständnis habe da eben nicht obgewaltet, weder ländliches noch künstlerisches, sondern nur wilde stadtbürgerliche Angst um die Gesellschaftsehre, und das Fräulein habe sich ganz richtig vor ihren Eltern am Boden gewunden, flehend und schluchzend unter ihren verfluchenden Fäusten, und sei schließlich gleichzeitig mit ihrer Mutter ohnmächtig geworden. Der Gerichtspräsident aber habe sich eines Tages hier eingefunden und mit ihr, Frau Schweigestill, geredet: ein kleiner Mann mit grauem Spitzbart und goldener Brille, von Gram ganz niedergebeugt. Sie hätten es abgeredet, daß das Fräulein hier in der Stille niederkommen und danach, immer unter dem Vorwande der Blutarmut, noch eine Zeit hier verbringen sollte. Und als der kleine hohe Beamte sich schon zum Gehen gewandt hatte, sei er noch einmal umgekehrt und habe ihr, Tränen hinter seinen goldgerahmten Gläsern, nochmals die Hand gedrückt mit den Worten: »Ich danke Ihnen, liebe Frau, für Ihr wohltuendes Verständnis!« Er habe aber damit das Verständnis gemeint für die tief gebeugten Eltern, nicht das für das Fräulein.
    Dieses sei denn auch eingetroffen, ein armes Ding, das immer den Mund offengehalten habe bei emporgezogenen Augenbrauen; und während sie hier ihre Stunde erwartet, habe sie ihr, der Schweigestill, viel anvertraut, durchaus geständig wegen ihrer Schuld und ohne vorzugeben, daß sie verführt worden sei, – im Gegenteil, Carl, der Chauffeur, habe sogar gesagt: »Es tut nicht gut, Fräulein, lassen wir's lieber!« Aber es sei stärker gewesen, als sie, und immer sei sie bereit gewesen, es mit dem Tode zu büßen, wie sie auch tun werde, und die Bereitschaft zum Tode, so habe ihr geschienen, die komme auf für alles. Sie sei auch recht tapfer gewesen zu ihrer Stunde und habe ihr Kind, ein Mädchen, zur Welt gebracht mit Hilfe des guten {306} Doktor Kürbis, des Kreisarztes hier, dem es ganz einerlei sei, wie ein Kind zustandekomme, wenn nur sonst alles in Ordnung sei und man es nicht mit Querlage zu tun habe. Aber recht schwach halt, trotz Landluft und guter Pflege, sei das Fräulein geblieben nach der Entbindung, habe auch nie darauf verzichtet, den Mund offenzuhalten und die Brauen emporzuziehen, wodurch ihre Wangen noch magerer erschienen seien, und als nach einer Weile ihr kleiner, hochgestellter Vater sie abgeholt habe, hätten bei ihrem Anblick wieder Tränen hinter seiner Goldbrille geblinkt. Das Kind sei zu den Grauen Fräulein in Bamberg gekommen, aber die Mutter sei fortan auch nur noch ein graues Fräulein gewesen: mit einem Kanarienvogel und einer Schildkröte, die ihr die Eltern aus Barmherzigkeit geschenkt, sei sie in ihrer Stube an Auszehrung dahingekümmert, wozu wohl der Keim schon immer in ihr gelegen habe. Schließlich habe man sie noch nach Davos geschickt, aber das scheine ihr den Rest gegeben zu haben, denn dort sei sie beinahe sofort gestorben, – nach Wunsch und Willen; und wenn sie recht gehabt habe mit ihrer Meinung, daß mit der Bereitschaft zum Tode alles im

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