Doktor Faustus
meine und Helenens Ergriffenheit und über die Herrlichkeit der Naturerscheinung selber gleich mit zu lachen.
Des Klostergartens über dem Städtchen, zu dem unsere Freunde jeden Morgen mit ihren Mappen hinaufstiegen, um an getrennten Plätzen zu arbeiten, gedachte ich schon. Sie hatten bei den Mönchen um die Erlaubnis nachgesucht, sich dort aufzuhalten, und milde war sie ihnen gewährt worden. Auch wir begleiteten sie öfters in den würzig duftenden Schatten des gärtnerisch wenig geordneten, von bröckelnder Mauer eingefaßten Areals hinauf, um sie an Ort und Stelle diskret ihren Beschäftigungen zu überlassen und, unsichtbar ihnen beiden, die selber einander unsichtbar waren, isoliert von Oleander-, Lorbeer- und Ginstergesträuch, auf eigene Hand den wachsend {314} heißen Vormittag zu verbringen: Helene mit ihrer Häkelarbeit und ich, indem ich, befriedigt und gespannt von dem Bewußtsein, daß Adrian nahebei die Komposition seiner Oper vorwärtstrieb, in einem Buche las.
Auf dem recht verstimmten Tafelklavier im Wohnsaal der Freunde spielte er uns einmal während unseres Aufenthalts – leider nur einmal – aus den vollendeten und meist auch schon für ein ausgesuchtes Orchester instrumentierten Teilen der »angenehmen, launischen Komödie, ›Verlorene Liebesmüh‹ genannt«, wie das Stück im Jahre 1598 geheißen hatte, charakteristische Stellen und ein paar geschlossene Szenenzusammenhänge vor: den ersten Akt, einschließlich des Auftritts in Armados Hause, und mehreres Spätere, das er stückweise antizipiert hatte: besonders die Monologe Birons, auf die er es von jeher besonders abgesehen gehabt hatte, – denjenigen in Versen sowohl, am Ende des 3. Aufzugs, wie auch den rhythmisch ungebundenen im vierten – they have pitch'd a toil, I am toiling in a pitch, pitch, that defiles –, der in seiner immer im Komischen, Grotesken sich haltenden und dennoch echten und tiefen Verzweiflung des Ritters über seine Verfallenheit an die verdächtige black beauty, in seiner wütend ausgelassenen Selbstverhöhnung – By the Lord, this love is as mad as Ajax: it kills sheep, it kills me, I a sheep – musikalisch noch besser, als der erste, gelungen war. Dies teils aus dem Grunde, weil die geschwinde und abgerissene wortwitzig kurz ausgestoßene Prosa dem Komponisten Akzenterfindungen von ganz besonderer Skurrilität eingegeben hatte, teils aber auch, weil in der Musik das bedeutend Wiederkehrende und schon Vertraute, die geistreiche oder tiefsinnige Anmahnung immer das Sprechend-Eindrucksvollste ist, und weil in dem zweiten Monolog sich Elemente des ersten auf köstliche Art wieder in Erinnerung brachten. Das galt vor allem für die erbitterte Selbstbeschimpfung des Herzens wegen seiner Vernarrtheit in den »bleichen {315} Kobold mit den sammtenen Brauen, statt Augen zwei Pechkugeln im Gesicht« und wiederum ganz besonders von dem musikalischen Bilde dieser verdammten, geliebten Pechaugen: einem dunkel blitzenden, aus dem Klange des Cellos und der Flöte gemischten, halb lyrisch-leidenschaftlichen und halb grotesken Melisma, das in der Prosa an der Stelle »O, but her eye, – by this light, but for her eye I would not love her« auf eine wild karikierte Weise wiederkehrt, wobei des Auges Dunkelheit durch die Tonlage noch vertieft, der Lichtblitz darin diesmal aber sogar der
kleinen
Flöte zugeteilt ist.
Es kann ja keinem Zweifel unterliegen, daß die sonderbar insistente und dabei unnötige, dramatisch wenig gerechtfertigte Charakterisierung der Rosaline als eines verbuhlten, treulosen, gefährlichen Weibsstückes, – eine Kennzeichnung, die ihr nur durch Birons Reden zuteil wird, während sie in der Wirklichkeit der Komödie nichts weiter als keck und witzig ist, – es ist ja kein Zweifel, daß diese Charakterisierung einem zwanghaften, um Kunstfehler unbekümmerten Drange des Dichters entspringt, persönliche Erfahrungen unterzubringen und sich, passe es oder nicht, dichterisch dafür zu rächen. Rosaline, wie der Verliebte nicht müde wird, sie zu schildern, ist die dunkle Dame der zweiten Sonettenreihe, die Ehrendame der Elisabeth, Shakespeares Geliebte, die ihn mit dem schönen jungen Freunde betrog; und das »Stück Reimerei und Schwermut«, mit dem Biron zu jenem Prosa-Monolog auf der Bühne erscheint – »Well, she has one o' my sonnets already« – ist eines von denen, die Shakespeare an diese schwarzbleiche Schönheit richtete. Wie kommt auch Rosaline dazu, auf den scharfzüngigen
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