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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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müssen in dieser selbstzentrierten und vollkommen kühlen Esoterik, – die nun aber,
als
Esoterik, im Geist des Stückes auf alle Weise sich selbst verspottete und parodistisch übertrieb, was einen Tropfen Traurigkeit, ein Gran Hoffnungslosigkeit in das Entzücken mischte.
    Ja, Bewunderung und Traurigkeit gingen beim Anschauen dieser Musik ganz eigentümlich ineinander. »Wie schön!« sagte sich das Herz – das meine wenigstens sagte sich so – »– Und wie traurig!« Denn die Bewunderung galt einem witzig-melancholischen Kunststück, einer heroisch zu nennenden intellektuellen Leistung, einer knappen Not, die sich als übermütige Travestie gebärdete, und die ich nicht anders zu kennzeichnen weiß, als indem ich sie ein nie entspanntes und spannend halsbrecherisches Spielen der Kunst am Rande der Unmöglichkeit nenne. Dies eben stimmte traurig. Aber Bewunderung und Trauer, Bewunderung und Sorge, ist das nicht beinahe die Definition der Liebe? Schmerzlich gespannte Liebe zu ihm und dem Seinen war es, mit dem ich Adrians Vorführung lauschte. Ich vermochte nicht viel zu sagen; Schildknapp, der immer ein sehr gutes, empfängliches Publikum abgab, kommentierte das Gebotene viel schlagfertiger und intelligenter, als ich, – der ich noch nachher, beim Pranzo, benommen und in mich gekehrt am Tische der Manardis saß, von Gefühlen bewegt, denen die Musik, die wir gehört, sich so völlig verschloß. »Bevi! Bevi!« sagte dazu die Padrona. »Fa sangue il vino!« Und Amelia be {319} wegte den Löffel vor ihren Augen hin und her, indem sie murmelte: »Spiriti? … Spiriti? …«
    Dieser Abend war schon einer der letzten, die wir, mein gutes Weib und ich, in dem originellen Lebensrahmen der Freunde verbrachten. Wenige Tage später mußten wir, nach einem Aufenthalt von drei Wochen, uns wieder daraus lösen, um die Heimreise nach Deutschland anzutreten, während jene dem idyllischen Gleichmaß ihres Daseins zwischen Klostergarten, Familientafel, ölig golden gerandeter Campagna und steinernem Wohnsaal, wo sie mit Lesen im Lampenschein den Abend verbrachten, noch Monate lang, bis in den Herbst hinein, treu blieben. So hatten sie's voriges Jahr schon den ganzen Sommer gehalten, und auch ihre Lebensweise in der Stadt, den Winter hin, hatte sich nicht wesentlich von dieser hier unterschieden. Sie wohnten in der Via Torre Argentina nahe dem Teatro Costanzi und dem Pantheon, drei Treppen hoch bei einer Vermieterin, die ihnen Frühstück und Kollation bereitete. In einer benachbarten Trattoria nahmen sie die Hauptmahlzeit zu einem monatlichen Pauschalpreise. Die Rolle des Klostergartens von Palestrina spielte in Rom die Villa Doria Panfili, wo sie an warmen Frühlings- und Herbsttagen bei einem schön gestalteten Brunnen, an den von Zeit zu Zeit eine Kuh oder ein frei weidendes Pferd zum Trinken trat, ihren Arbeiten nachhingen. Adrian fehlte selten bei den Nachmittagskonzerten der Munizipalkapelle auf Piazza Colonna. Gelegentlich gehörte der Abend der Oper. In der Regel verbrachte man ihn mit Dominospiel bei einem Glase heißen Orangenpunsches in einem stillen Kaffeehauswinkel.
    Sie pflogen keinerlei weiteren Umgang – oder so gut wie keinen, ihre Abgeschlossenheit war in Rom fast so vollkommen wie auf dem Lande. Das deutsche Element mieden sie gänzlich, – Schildknapp zumal ergriff unfehlbar die Flucht, sobald ein Laut der Muttersprache an sein Ohr schlug: Er war ja imstande, {320} aus einem Omnibus, einem Eisenbahnwagen wieder auszusteigen, wenn sich »Germans« darin vorfanden. Aber auch einheimische Bekanntschaften zu machen, bot ihre einsiedlerische, oder denn also zweisiedlerische, Lebensweise kaum Gelegenheit. Zweimal während des Winters waren sie zu einer Kunst und Künstler begönnernden Dame unbestimmter Herkunft geladen: Madame de Coniar, an die Rüdiger Schildknapp eine Münchener Empfehlung hatte. In ihrer mit Widmungsphotographien in Plüsch- und Silberrahmen geschmückten Wohnung am Corso trafen sie mit einem Gemenge internationalen Artistentums, Theatervolk, Malern und Musikern, Polen, Ungarn, Franzosen und auch Italienern, zusammen, dessen Einzelerscheinungen sie alsbald wieder aus den Augen verloren. Zuweilen trennte sich Schildknapp von Adrian, um mit jungen Engländern, die Sympathie ihm in die Arme getrieben, Malvasierkneipen aufzusuchen, nach Tivoli auszufliegen oder bei den Trappisten von Quattro Fontane Eukalyptusschnaps zu trinken und zur Erholung von den verzehrenden Schwierigkeiten der

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