Doktor Faustus
und durchaus fidelen Biron des Stückes ihre Weisheit anzuwenden:
»Der Jugend Blut brennt nicht mit solcher Glut
Als Ernst, einmal empört zur Sinnenwut«?
{316} Er
ist
ja jung und gar nicht »ernst« und keineswegs die Person, die Anlaß zu der Betrachtung geben könnte, wie kläglich es ist, wenn Weise zu Narren werden und all ihre Geisteskraft daransetzen, der Albernheit den Schein des Wertes zu verleihen. Biron fällt im Munde Rosalines und ihrer Freundinnen völlig aus der Rolle; er ist nicht Biron mehr, sondern Shakespeare in seinem unseligen Verhältnis zur dunklen Dame; und Adrian, der die Sonette, dies grundsonderbare Trio von Dichter, Freund und Geliebter, in einer englischen Taschenausgabe immer bei sich hatte, war bei seinem Werk von Anfang an bestrebt gewesen, den Charakter seines Biron jener ihm teueren Dialogstelle anzupassen und ihm eine Musik zu geben, die ihn – in gehöriger Relation zu dem karikierenden Stil des Ganzen – als »ernst« und geistig bedeutend, wahrhaft als das Opfer einer beschämenden Leidenschaft kennzeichnet.
Das war schön, und ich lobte es sehr. Übrigens, wieviel Grund zum Lobe und zu freudiger Verblüffung gab es nicht auch sonst, bei dem, was er uns spielte! Es ließ sich im Ernst darauf anwenden, was der gelehrte Silbenstecher Holofernes von sich selber sagt:
»Dies ist eine Gabe, die ich besitze, einfach, einfach! ein närrisch extravaganter Sinn, voll von Formen, Figuren, Gestalten, Gegenständen, Ideen, Erscheinungen, Erregungen, Wandlungen. Diese werden empfangen in dem Uterus des Gedächtnisses, genährt im Mutterleibe der pia mater, und geboren durch die reifende Kraft der Gelegenheit.« Delivered upon the mellowing of occasion. Wundervoll! Bei ganz nebensächlicher, spaßhafter Gelegenheit gibt da der Dichter eine unübertrefflich volle Beschreibung des Künstlergeistes, und unwillkürlich bezog man sie auf den Geist, der hier am Werke war, Shakespeares satirisches Jugendwerk in die Sphäre der Musik zu übertragen.
Soll ich dabei die leise Kränkung oder Bekümmerung ganz {317} verschweigen, welche die Verspottung der antiken Studien mir zufügte, die in dem Stück als asketische Preziosität erscheinen? An der Karikatur des Humanismus war nicht Adrian schuld, sondern Shakespeare, und von ihm ist auch die verschrobene Ideenordnung vorgegeben, in der die Begriffe »Bildung« und »Barbarei« eine so sonderbare Rolle spielen. Jene ist geistiges Mönchstum, eine Leben und Natur aufs tiefste verachtende, gelehrte Überfeinerung, welche in Leben und Natur eben, in Unmittelbarkeit, Menschlichkeit, Gefühl das Barbarische sieht. Selbst Biron, der bei den preziösen Verschworenen des Akademoshains gute Worte einlegt für das Natürliche, gibt zu, daß er »für Barbarei mehr gesprochen habe, als für den Engel Weisheit«. Dieser Engel wird zwar lächerlich gemacht, aber doch wieder nur durch das Lächerliche; denn die »Barbarei«, in die die Verbündeten zurückfallen, die sonettenselige Verliebtheit, die ihnen zur Strafe für ihr falsches Bündnis auferlegt wird, ist ebenfalls geistreich stilisierte Karikatur, Liebespersiflage, und nur zu gut sorgten Adrians Klänge dafür, daß das Gefühl am Ende nicht besser dastand als seine vermessene Abschwörung. Gerade die Musik, meinte ich, wäre ihrer innersten Natur nach berufen gewesen, die Führerin abzugeben aus der Sphäre absurder Künstlichkeit hinaus ins Freie, in die Welt der Natur und Menschlichkeit. Allein sie enthielt sich dessen. Das, was der Ritter Biron »barbarism« nennt, das Spontane und Natürliche also eben, feierte in ihr keine Triumphe.
Es war eine in artistischer Beziehung höchst bewundernswerte Musik, die mein Freund da wob. Er hatte, allen Massenaufwand verschmähend, die Partitur ursprünglich nur für das klassische Beethoven'sche Orchester ausschreiben wollen und allein um der Figur des komisch-pompösen Spaniers Armado willen ein zweites Paar Hörner, drei Posaunen und eine Baßtuba in sein Orchester aufgenommen. Aber alles war streng {318} kammermusikalischen Stils, von filigranhafter Arbeit, eine kluge Groteske in Tönen, kombinatorisch-humoristisch, an Einfällen eines feinen Übermuts reich, und ein Musikliebhaber, der, müde der romantischen Demokratie und der moralischen Volksharanguierung, nach einer Kunst um der Kunst willen, einer ehrgeizlosen oder doch nur im exklusivsten Sinne ehrgeizigen Kunst für Künstler und Kenner verlangt hätte, würde sein Entzücken haben finden
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