Doktor Faustus
Übersetzungskunst nonsense mit ihnen zu reden.
Kurzum, in der Stadt wie in der Abgeschiedenheit des Gebirgsstädtchens führten die Beiden das Welt und Menschen vermeidende Leben gänzlich von den Sorgen ihrer Arbeit beanspruchter Menschen. So wenigstens kann man es ausdrücken. Und soll ich nun sagen, daß der Abschied vom Hause Manardi für mich persönlich, so ungern ich, wie immer, von Adrians Seite ging, doch auch wieder mit einem gewissen heimlichen Erleichterungsgefühl verbunden war? Es auszusprechen, kommt der Verpflichtung gleich, das Gefühl auch zu begründen, und schwerlich wird sich das tun lassen, ohne daß ich mir selbst und anderen dabei in einem etwas lächerlichen Lichte erschiene. Die Wahrheit ist: in einem bestimmten Punkte, in puncto puncti, wie junge Leute gerne sagen, bildete ich unter den Hausgenossen eine etwas komische Ausnahme; ich {321} fiel sozusagen aus dem Rahmen: nämlich in meiner Eigenschaft und Lebensweise als Ehemann, welcher dem, was wir halb entschuldigend, halb verherrlichend »Natur« nennen, seinen Tribut entrichtete. Niemand tat das sonst in dem Haus-Kastell an der Treppengasse. Unsere treffliche Wirtin, Frau Peronella, war langjährige Witwe, ihre Tochter Amelia ein etwas unkluges Kind. Die Brüder Manardi, der Advokat wie der Landmann, erschienen als verhärtete Junggesellen, ja, von beiden Männern mochte man sich wohl vorstellen, daß sie nie ein Weib berührt hatten. Da war noch Vetter Dario, grau und mild, mit einer sehr kleinen, kränkelnden Frau, ein Paar, das sich gewiß nur im charitativsten Sinn des Wortes etwas zuliebe tat. Und da waren endlich Adrian und Rüdiger Schildknapp, die Monat auf Monat in dem friedlich-strengen Zirkel, mit dem wir vertraut geworden, ausharrten, nicht anders es haltend, als die Mönche des oberen Klosters. Sollte das für mich, den gemeinen Mann, nicht etwas Beschämendes und Bedrückendes haben?
Von Schildknapps besonderem Verhältnis zur weiten Welt der Glücksmöglichkeiten und von seinem Hange, mit diesem Schatz zu geizen, indem er mit sich selber geizte, habe ich oben gesprochen. Ich sah darin den Schlüssel zu seiner Lebensweise, es diente mir zur Erklärung für die mir schwer verständliche Tatsache, daß er sie zustande brachte. Anders war es mit Adrian, – obgleich ich mir bewußt war, daß die Gemeinschaft der Keuschheit das Fundament ihrer Freundschaft, oder, wenn das ein zuweit gehendes Wort ist, ihres Zusammenlebens bildete. Ich vermute, daß es mir nicht gelungen ist, dem Leser eine gewisse Eifersucht auf das Verhältnis des Schlesiers zu Adrian zu verbergen; so möge er denn auch verstehen, daß es dieses Gemeinsame, das Bindemittel der Enthaltsamkeit war, dem letzten Endes jene Eifersucht galt.
Lebte Schildknapp, wenn ich so sagen darf, als Roué des {322} Potentiellen, so führte Adrian – ich konnte nicht daran zweifeln – seit jener Reise nach Graz, beziehungsweise nach Preßburg, das Leben eines Heiligen, – wie er es bis dahin getan hatte. Ich erbebte nun aber bei dem Gedanken, daß seine Keuschheit
seitdem
, seit jener Umarmung, seit seiner vorübergehenden Erkrankung und dem Verlust seiner Ärzte während derselben, nicht mehr dem Ethos der Reinheit, sondern dem Pathos der Unreinheit entsprang.
Immer hatte in seinem Wesen etwas vom »Noli me tangere« gelegen, – ich kannte das; seine Abneigung gegen die allzu große physische Nähe von Menschen, das Einander-in-den-Dunstkreis-Geraten, die körperliche Berührung, war mir wohlvertraut. Er war im eigentlichen Sinn des Wortes ein Mensch der »Abneigung«, des Ausweichens, der Zurückhaltung, der Distanzierung. Physische Herzlichkeiten erschienen ganz unvereinbar mit seiner Natur; schon sein Händedruck war selten und wurde mit einer gewissen Eile vollzogen. Deutlicher als je trat diese ganze Eigenheit während unseres neuerlichen Zusammenseins hervor, und dabei war mir, ich kann kaum sagen, warum, als hätte das »Rühre mich nicht an!«, das »Drei Schritte vom Leibe!« gewissermaßen seinen Sinn verändert, als werde damit nicht sowohl eine Zumutung zurückgewiesen, als eine umgekehrte Zumutung gescheut und vermieden, – womit denn auch offenbar die Enthaltung vom Weibe zusammenhing.
Nur einer so dringlich beobachtenden Freundschaft, wie der meinen, konnte ein solcher Bedeutungswechsel der Dinge fühlbar oder ahnbar werden, und Gott sei davor, daß die Wahrnehmung mir die Freude an Adrians Nähe beeinträchtigt hätte! Was mit ihm vorging,
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