Doktor Faustus
konnte mich erschüttern, mich aber niemals von ihm entfernen. Es gibt Menschen, mit denen zu leben nicht leicht, und die zu lassen unmöglich ist.
{323} XXV
Das Dokument, auf das in diesen Blättern wiederholte Hinweise geschahen, Adrians geheime Aufzeichnung, seit seinem Abscheiden in meinem Besitz und gehütet als ein teuerer, furchtbarer Schatz, – hier ist es, ich teile es mit. Der biographische Augenblick seiner Einschaltung ist gekommen. Da ich seinem eigenwillig gewählten, mit dem Schlesier geteilten Refugium, worin ich ihn aufgesucht, im Geiste wieder den Rücken gekehrt habe, setzt meine Rede aus, und unmittelbar vernimmt in diesem fünfundzwanzigsten Kapitel der Leser die seine.
Wäre es nur seine? Es ist ja ein Zwiegespräch, das vorliegt. Ein anderer, ganz anderer, ein entsetzlich anderer führt sogar vornehmlich das Wort, und der Schreibende in seinem Steinsaal legt nur nieder, was er von ihm vernahm. Ein Dialog? Ist es in Wahrheit ein solcher? Ich müßte wahnsinnig sein, es zu glauben. Und darum kann ich auch nicht glauben, daß er in tiefster Seele für wirklich hielt, was er sah und hörte: während er es hörte und sah und nachher, als er es zu Papier brachte, – ungeachtet der Zynismen, mit denen der Gesprächspartner ihn von seinem objektiven Vorhandensein zu überzeugen suchte. Gab es ihn aber nicht, den Besucher – und ich entsetze mich vor dem Zugeständnis, das darin liegt, auch nur konditionell und als Möglichkeit seine Realität zuzulassen! – so ist es grausig zu denken, daß auch jene Zynismen, Verhöhnungen und Spiegelfechtereien aus der eigenen Seele des Heimgesuchten kamen …
Es versteht sich von selbst, daß ich Adrians Handschrift nicht dem Drucker zu überantworten gedenke. Mit dem eigenen Kiel übertrage ich sie Wort für Wort von dem Notenpapier, das mit seinen schon früher charakterisierten, kleinen und altertümlich schnörkelhaften, tiefschwarzen Rundschriftfederzügen, einer Mönchsschrift, möchte man sagen, bedeckt ist, in {324} mein Manuskript. Des Notenpapiers hat er sich bedient, offenbar weil ihm im Augenblick kein anderes zur Hand war, oder weil der Kramladen drunten am Kirchplatz des hl. Agapitus ihm kein genehmes Schreibpapier bot. Es fallen immer zwei Zeilen auf das obere Fünfliniensystem und zwei auf das Baß-System; aber auch der weiße Raum dazwischen ist durchweg mit je zwei Schreibzeilen ausgefüllt.
Nicht mit voller Bestimmtheit ist der Zeitpunkt der Niederschrift auszumachen, denn das Dokument weist kein Datum auf. Soll meine Überzeugung etwas gelten, so ist es keinesfalls nach unserem Besuch in dem Bergstädtchen oder während unseres Aufenthaltes dortselbst abgefaßt. Entweder stammt es aus einer früheren Periode des Sommers, von dem wir drei Wochen mit den Freunden zubrachten, oder es datiert aus dem Sommer vorher, dem ersten, den sie als Gäste der Manardis verlebten. Daß zu der Zeit, als wir einsprachen, das dem Manuskript zugrunde liegende Erlebnis bereits zurücklag, daß Adrian damals das folgende Gespräch schon geführt hatte, ist mir eine Gewißheit; ebenso, daß die schriftliche Niederlegung unmittelbar im Anschluß an die Erscheinung, am nächsten Tage vermutlich, geschah.
So schreibe ich denn ab, – und ich fürchte, kein Rütteln ferner Explosionen an meiner Klause wird nötig sein, um meine Hand zittern und meine Buchstaben ausfahren zu lassen beim Schreiben …
»Weistu was so schweig. Werde schon schweigen, wenn auch schamhalben bloß und um die Menschen zu schonen, ei, aus sozialer Rücksicht. Habe es willens steif und fest, daß mir die Anstandskontrolle der Vernunft bis aufs letzte nicht locker werde. Aber gesehen hab ich Ihn doch, endlich, endlich; war bei mir hier im Saal, hat mich visitiert, unerwartet und doch längst erwartet, bin recht ausgiebig mit Ihm zusprach kommen und {325} hab den einen Ärger nur hinterdrein, nicht gewiß zu sein, wovon ich zitterte die ganze Zeit, ob nur vor Kälte oder vor Ihm. Macht ich mir irgend wohl vor, machte Er mir vor, daß es kalt war, damit ich zittern und mich daran vergewissern möcht, daß Er da war, ernstlich, Einer für sich? Denn doch männiglich weiß, daß kein Narr vor dem eigenen Hirngespinst zittert, sondern ein solches ist ihm gemütlich, und ohne Verlegenheit noch Beben läßt er sich damit ein. Hielt Er mich wohl zum Narren, da Er mir vormacht, durch die Hundskälte, ich sei kein Narr, und Er kein Hirngespinst, denn ich in Furcht und Blödigkeit vor Ihm
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