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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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zitterte? Er ist durchtrieben.
    Weistu was so schweig. Schweige so vor mich hin. Schweige es alles hier aufs Musikpapier nieder, während mein Kumpan in eremo, mit dem ich lache, weit weg von mir im Saal, sich mit translation des lieben Fremden ins heimisch Verhaßte plackt. Denkt, ich komponiere, und wenn er säh, daß ich Worte schreib, würd er denken, daß auch Beethoven das wohl tat.
    Hatte den ganzen Tag, schmerzhafte Creatur, mit dem leidigen Hauptweh im Dunkeln gelegen und mehrmals würgen und speien müssen, wies bei schweren Anfällen ist, aber gegen den Abend kam Besserung unverhofft und fast plötzlich. Konnte die Suppe behalten, die die Mutter mir brachte (›Poveretto!‹), trank auch wohlgemut ein Glas von dem Roten danach (›Bevi, bevi!‹) und war meiner auf einmal so sicher, daß mir sogar eine Zigarette gönnte. Hätte auch ausgehen können, wie es tags vorher abgesprochen worden. Dario M. wollt uns einführen drunten im Club der höheren Praenestenser Bürger, uns präsentieren, uns die Räume zeigen, das Billard, das Lesezimmer. Wollten den Guten nicht kränken und hatten ihm zugesagt, – was denn nun ausging an Sch. allein, da ich durch den Anfall entschuldigt. Vom Pranzo weg stapft er ohne mich sauren Mundes an Darios Seite die Gasse hinab zu den Acker-, den Pfahlbürgern, und ich blieb für mich.
    {326} Saß allein hier im Saal, nahendt bei den Fenstern, die mit den Läden vermacht, vor mir die Länge des Raums, bei meiner Lampe und las Kierkegaard über Mozarts Don Juan.
    Da fühl ich mich auf den Plotz von schneidender Kälte getroffen, so als säße Einer im winterwarmen Zimmer und auf einmal ginge ein Fenster auf nach außen gegen den Frost. Kam aber nicht von hinter mir, wo die Fenster sind, sondern fällt mich von vorn an. Rucke auf vom Buch und schau in den Saal, sehe, daß wohl Sch. schon zurückgekehrt, denn ich bin nicht mehr allein: Jemand sitzt im Dämmer auf dem Roßhaarsofa, das mit Tisch und Stühlen nahe der Tür ungefähr mitten im Raume steht, wo wir morgens das Frühstück nehmen, – sitzt in der Sofaecke mit übergeschlagenem Bein, aber es ist nicht Sch., ist ein Anderer, kleiner als er, lange so stattlich nicht und überhaupt kein rechter Herr. Aber fortwährend dringt mich die Kälte an.
    ›Chi è costà!‹ ist, was ich rufe mit etwas verschnürter Kehle, aufgestützt mit den Händen den Armen des Stuhls, so, daß das Buch mir von den Knien zu Boden fällt. Antwortet die ruhige, langsame Stimme des Anderen, eine gleichsam geschulte Stimme mit angenehmer Nasenresonanz:
    ›Sprich nur deutsch! Nur fein altdeutsch mit der Sprache heraus, ohn' einzige Bemäntelung und Gleißnerei. Ich versteh es. Ist gerad recht meine Lieblingssprache. Manchmal versteh ich überhaupt nur deutsch. Hol dir übrigens den Paletot, auch den Hut und das Plaid. Es geht kalt zu dir. Du wirst schnattern, mag es auch nicht zum Verkühlen sein.‹
    ›Wer sagt Du zu mir?‹ frage ich aufgebracht.
    ›Ich‹, sagt er. ›Ich, mit Gunst. Ach, du meinst, weil du niemandem du sagst, nicht einmal deinem Humoristen, dem Gentleman, außer allein dem Kindgespiel, dem Getreuen, der dich mit Vornamen nennt, du aber nicht ihn? Laß das gut sein. Es ist schon so ein Verhältnis mit uns, zum Du sagen. Wird es nun? Holst du dir etwas Warmes?‹
    {327} Ich starre ins Halblicht, fasse ihn zornig ins Auge. Ist ein Mann, eher spillerig von Figur, längst nicht so groß wie Sch., aber auch kleiner als ich, – eine Sportmütze übers Ohr gezogen, und auf der andern Seite steht darunter rötlich Haar von der Schläfe hinauf; rötliche Wimpern auch an geröteten Augen, käsig das Gesicht, mit etwas schief abgebogener Nasenspitze; über quer gestreiftem Trikothemd eine karierte Jacke mit zu kurzen Ärmeln, aus denen die plumpfingrigen Hände kommen; widrig knapp sitzende Hose und gelbe, vertragene Schuhe, die man nicht länger putzen kann. Ein Strizzi. Ein Ludewig. Und mit der Stimme, der Artikulation eines Schauspielers.
    ›Wird es?‹ wiederholt er.
    ›Ich wünsche vor allem zu wissen‹, sage ich mit bebender Beherrschung, ›wer sich herausnimmt, hier einzudringen und bei mir Platz zu nehmen.‹
    ›Vor allem‹, wiederholt er. ›Vor allem ist gar nicht schlecht. Aber du bist überempfindlich gegen jedweden Besuch, den du für unerwartet achtest und unerwünscht. Ich komme ja nicht, dich zur Gesellschaft zu holen, dich zu beschmeicheln, daß du zum musikalischen Kränzchen stößt. Sondern um die Geschäfte

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