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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Mißverständnis beruht. Ist immer schmeichelhaft, ist immer wohltuend. Suche dir also, wenn du mich schon nennen willst, obgleich du ja {330} meistens die Leute gar nicht bei Namen nennst, weil du aus Uninteressiertheit ihren Namen nicht weißt, – suche dir unter den bäurischen Zärtlichkeiten eine aus nach Belieben! Nur eine will und mag ich nicht hören, weil sie entschieden eine boshafte Nachrede ist und nicht im geringsten auf mich paßt. Wer mich den Herrn Dicis et non facis nennt, der wohnt in der Fehlhalde. Soll zwar auch ein Fingerspiel sein unterm Kinn, ist aber eine Verleumdung. Ich tue schon, was ich sage, halte aufs Tüpfelchen mein Versprechen, das ist geradezu mein Geschäftsprinzip, ungefähr wie die Juden die verlässigsten Händler sind, und wenns zum Betruge kam, nun, so ist es ja sprichwörtlich, daß immer ich, der an Treu und Redlichkeit glaubt, der Betrogene war …‹
    Ich:
›Dicis et non es. Ihr wollt wirklich da vor mir in dem Sofa sitzen und von außen her zu mir reden auf gut Kumpfisch, in altdeutschen Brocken? Ausgerechnet hier in Welschland wollt ihr mich visitieren, wo ihr gänzlich aus euerer Zone seid und nicht im geringsten populär? Was für eine absurde Stillosigkeit! In Kaisersaschern hätt ich euch mir gefallen lassen. Zu Wittenberg oder auf Wartburg, sogar in Leipzig noch wärt ihr mir glaubhaft gewesen. Aber doch hier nicht, unter heidnisch-katholischem Himmel!‹
    Er
(kopfschüttelnd und bekümmert mit der Zunge schnalzend): ›T, t, t, immer dieselbe Zweifelsucht, immer derselbe Mangel an Selbstvertrauen! Wenn du den Mut hättest, dir zu sagen: ‹Wo ich bin, da ist Kaisersaschern›, gelt, so stimmte die Sache auf einmal, und der Herr Ästheticus brauchte nicht mehr über Stillosigkeit zu seufzen. Potz Strahl! Du hättest schon recht, so zu sprechen, hast nur eben den Mut nicht dazu oder tust so, als fehlte er dir. Selbstunterschätzung, mein Freund, – und mich unterschätzest du auch, wenn du mich dermaßen einschränkst und willst mich gänzlich zum deutschen Provinzler machen. Ich bin zwar deutsch, kerndeutsch meinetwegen, {331} aber doch eben auf alte, bessere Art, nämlich von Herzen kosmopolitisch. Willst mich hier wegleugnen und bringst die alte deutsche Sehnsucht und den romantischen Wandertrieb gar nicht in Anschlag nach dem schönen Lande Italia! Deutsch soll ich sein, aber daß es mich auf einmal auf gut Dürerisch nach der Sonne fröre, das will der Herr mir nicht gönnen, – nicht einmal, wo ich doch außerdem, von der Sonne ganz abgesehen, dringlich schöne Geschäfte hier habe, von wegen einer feinen, erschaffenen Kreatur …‹
    Hier kam ein unaussprechlicher Ekel mich an, so daß ich wild zusammenschauderte. War aber kein rechter Unterscheidt zwischen den Ursachen meines Schauderns; mochte zugleich und in Einem damit auch vor Kälte sein, dann sich der Froststrom von ihm her jäh verschärft hatte, so daß es mir durch das Manteltuch ins Mark der Knochen schnitt. Unwillig frage ich:
    ›Könnt ihr denn das Unwesen nicht abstellen, diesen eisigen Zug?!‹
    Er
darauf: ›Leider nein. Es tut mir leid, dir hierin nicht gefällig sein zu können. Ich bin nun einmal so kalt. Wie sollte ich's sonst auch aushalten und es wohnlich befinden dort, wo ich wohne?‹
    Ich
, unwillkürlich: ›Ihr meint in der Hellen und ihrer Spelunck?‹
    Er
(lacht wie gekitzelt): ›Ausgezeichnet! Derb und deutsch und schalkhaft gesagt! Hat ja noch viele hübsche Benennungen, gelehrt-pathetische, die der Herr Ex-Theologus alle kennen, sowie Carcer, Exitium, Confutatio, Pernicies, Condemnatio und so fort. Aber die zutraulich deutschen und humoristischen, ich kann mir nicht helfen, bleiben mir immer die liebsten. Übrigens lassen wir für erst noch den Ort und seine Beschaffenheit! Ich seh' dir's am Gesichte an, daß du im Begriffe bist, mich danach zu fragen. Das steht aber in weitem Felde und ist nicht im geringsten brennend – du verzeihst mir das Scherz {332} wort, daß es nicht brennend ist! – es hat Zeit damit, reichliche, unabsehbare Zeit, – Zeit ist das Beste und Eigentliche, das wir geben, und unsre Gabe das Stundglas, – ist ja so fein, die Enge, durch die der rote Sand rinnt, so haardünn sein Gerinnsel, nimmt für das Auge gar nicht ab im oberen Hohlraum, nur ganz zuletzt, da scheint's schnell zu gehen und schnell gegangen zu sein, – aber das ist so lange hin, bei der Enge, daß es der Rede und des Darandenkens nicht wert ist. Nur eben daß das

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