Doktor Faustus
bange vor der Höllen. Denn der Gedanke an Umkehr und Rettung, an dein sogenanntes Seelenheil, an Rückzug von der Promission lauert bei dir im Hintergrunde, und du trachtest darnach, dir die attritio cordis, die Herzensangst vor dem Dortigen zuzuziehen, von der du wohl gehört haben magst, daß durch sie der Mensch {360} die sogenannte Seligkeit erlangen könne. Laß dir sagen, daß das eine völlig veraltete Theologie ist. Die Attritionslehre ist wissenschaftlich überholt. Als notwendig erwiesen ist die contritio, die eigentliche und wahre protestantische Zerknirschung über die Sünde, die nicht bloß Angstbuße nach der Kirchenordnung, sondern innere, religiöse Umkehr bedeutet, – und ob du deren fähig bist, das frage dich selbst, dein Stolz wird die Antwort nicht schuldig bleiben. Je länger, je weniger wirst du fähig und willens sein, dich zur contritio herbeizulassen, sintemal das extravagante Dasein, das du führen wirst, eine große Verwöhnung ist, aus der man nicht mir nichts, dir nichts ins Mittelmäßig-Heilsame zurückfindet. Darum, zu deiner Beruhigung sei es gesagt, wird dir denn auch die Hölle nichts wahrhaft Neues, – nur das mehr oder weniger Gewohnte, und mit Stolz Gewohnte, zu bieten haben. Sie ist im Grunde nur eine Fortsetzung des extravaganten Daseins. Um es in zwei Worten zu sagen: ihr Wesen, oder, wenn du willst, ihre Pointe ist, daß sie ihren Insassen nur die Wahl läßt zwischen extremer Kälte und einer Glut, die den Granit zum Schmelzen bringen könnte, – zwischen diesen beiden Zuständen flüchten sie brüllend hin und her, denn in dem einen erscheint der andre immer als himmlisches Labsal, ist aber sofort und in des Wortes höllischster Bedeutung unerträglich. Das Extreme daran muß dir gefallen.‹
Ich:
›Es gefällt mir. Unterdessen möchte ich euch davor warnen, euch meiner allzu sicher zu fühlen. Eine gewisse Seichtheit eurer Theologie könnte euch dazu verführen. Ihr verlaßt euch darauf, daß der Stolz mich an der zur Rettung notwendigen Zerknirschung hindern wird und stellt dabei nicht in Rechnung, daß es eine stolze Zerknirschung gibt. Die Zerknirschung Kains, der der festen Meinung war, seine Sünde sei größer, als daß sie ihm je verziehen werden möchte. Die contritio ohne jede Hoffnung und als völliger Unglaube an die {361} Möglichkeit der Gnade und Verzeihung, als die felsenfeste Überzeugung des Sünders, er habe es zu grob gemacht, und selbst die unendliche Güte reiche nicht aus, seine Sünde zu verzeihen, – erst das ist die wahre Zerknirschung, und ich mache euch darauf aufmerksam, daß sie der Erlösung am allernächsten, für die Güte am allerunwiderstehlichsten ist. Ihr werdet zugeben, daß der alltäglich-mäßige Sünder der Gnade nur mäßig interessant sein kann. In seinem Fall hat der Gnadenakt wenig Impetus, er ist nur eine matte Betätigung. Die Mittelmäßigkeit führt überhaupt kein theologisches Leben. Eine Sündhaftigkeit, so heillos, daß sie ihren Mann von Grund aus am Heile verzweifeln läßt, ist der wahrhaft theologische Weg zum Heil.‹
Er:
›Schlaukopf! Und woher will deinesgleichen die Einfalt nehmen, die naive Rückhaltlosigkeit der Verzweiflung, die die Voraussetzung wäre für diesen heillosen Weg zum Heil? Es ist dir nicht klar, daß die bewußte Spekulation auf den Reiz, den große Schuld auf die Güte ausübt, dieser den Gnadenakt nun schon aufs äußerste unmöglich macht?‹
Ich:
›Und doch kommt es erst durch dies Non plus ultra zur höchsten Steigerung der dramatisch-theologischen Existenz, das heißt: zur verworfensten Schuld und dadurch zur letzten und unwiderstehlichsten Herausforderung an die Unendlichkeit der Güte.‹
Er:
›Nicht schlecht. Wahrlich ingeniös. Und nun will ich dir sagen, daß genau Köpfe von deiner Art die Population der Hölle bilden. Es ist nicht so leicht, in die Hölle zu kommen; wir litten längst Raummangel, wenn Hinz und Kunz hineinkämen. Aber dein theologischer Typ, so ein abgefeimter Erzvogel, der auf die Spekulation spekuliert, weil er das Spekulieren schon von Vaters Seite im Blut hat, – das müßte mit Kräutern zugehen, wenn der nicht des Teufels wär.‹
Wie er das sagt, und schon etwas vorher, wandelt der Kerl sich {362} wieder, wie Wolken tun, und weiß es nach seiner Angabe gar nicht: sitzt nicht mehr auf der Armrolle des Kanapees vor mir im Saal, sondern wieder im Eck als das Mannsluder, der käsige Ludewig in der Kappe, mit roten Augen. Und sagt mit seiner
Weitere Kostenlose Bücher