Doktor Faustus
ihr innig-nachbarlicher gegenseitiger Bezug liegt ja auf der Hand.«
»Von astrologischer Konjunktur haben wir schon einmal gesprochen«, fiel ich ein. »Es ist lange her, wir gingen um die Kuhmulde spazieren, und es war ein musikalisches Gespräch. Damals hast du die Konstellation verteidigt.«
»Ich verteidige sie auch heute«, antwortete er. »Astrologische Zeiten wußten sehr viel. Sie wußten oder ahnten Dinge, auf die heute die ausgedehnteste Wissenschaft wieder verfällt. Daß Krankheiten, Seuchen, Epidemien mit dem Sternenstande zu tun haben, war jenen Zeiten eine intuitive Gewißheit. Heute ist man so weit, darüber zu debattieren, ob nicht Keime, Bakterien, Organismen, die, sagen wir, eine Influenza-Epidemie auf Erden erregen, von anderen Planeten, Mars, Jupiter oder Venus stammen.«
Ansteckende Krankheiten, Seuchen wie die Pest, der Schwarze Tod, seien wahrscheinlich nicht von diesem Stern, zumal, da fast gewiß das Leben selbst und überhaupt seinen Ursprung nicht auf Erden habe, sondern von außen eingewandert sei. Er habe es aus bester Quelle, daß es von Nachbarsternen stamme, die in eine ihm ungleich günstigere, viel Methan und Ammoniak enthaltende Atmosphäre gehüllt seien, wie Jupiter, Mars und Venus. Von ihnen, oder von einem von ihnen, er überlasse mir die Wahl, sei das Leben einmal, getragen von kosmischen Wurfgeschossen, oder einfach durch Strahlendruck, auf unseren eher sterilen und unschuldigen Planeten gelangt. Mein humanistischer Homo Dei, diese Krone des Lebens, sei also mitsamt seiner Verpflichtung aufs Geistige mutmaßlich das Produkt der Sumpfgas-Fertilität eines Nachbargestirns …
»Die Blüte des Bösen«, wiederholte ich kopfnickend.
{400} »Und blühend in Bösheit meistenteils«, setzte er hinzu.
So neckte er mich, nicht nur mit meiner wohlwollenden Weltanschauung, sondern auch mit der während dieses Gespräches in grillenhafter Laune immer festgehaltenen Vortäuschung einer gewissen besonderen, persönlichen, direkten Informiertheit seinerseits über die Bewandtnisse von Himmel und Erde. Ich wußte nicht, hätte es mir aber sagen können, daß es mit alldem auf ein Werk hinauswollte, nämlich auf die kosmische Musik, mit der er sich damals, nach der Episode der neuen Lieder, trug. Es war die erstaunliche einsätzige Symphonie oder Orchester-Phantasie, die er während der letzten Monate des Jahres 1913 und der ersten von 1914 ausarbeitete, und die den Titel »Die Wunder des Alls« erhielt, – sehr gegen meinen Wunsch und Vorschlag. Denn ich scheute die Frivolität jener Überschrift und riet zu dem Namen »Symphonia cosmologica«. Aber Adrian bestand lachend auf der anderen scheinpathetisch-ironischen Benennung, die den Wissenden allerdings besser auf den durch und durch skurrilen und grotesken, wenn auch oft auf eine streng-feierliche, mathematisch-zeremoniöse Weise grotesken Charakter dieser Schilderungen des Ungeheuerlichen vorbereitet. Mit dem Geist der »Frühlingsfeyer«, die doch auch wieder in gewissem Sinn die Vorbereitung dazu bildete, mit dem Geist demütiger Verherrlichung also, hat diese Musik nichts zu tun, und wenn nicht gewisse persönliche Merkmale der musikalischen Handschrift auf denselben Autor deuteten, sollte man kaum glauben, daß die gleiche Seele beides hervorgebracht. Wesen und Essenz jenes ungefähr 30 Minuten dauernden orchestralen Welt-Portraits ist der Spott, – ein Spott, der meine im Gespräch behauptete Meinung, daß die Beschäftigung mit dem Maßlos-Außermenschlichen der Frömmigkeit keine Nahrung gebe, nur zu sehr bestätigt; eine luziferische Sardonik, ein travestierendes Schalkslob, das nicht nur dem fürchterlichen Uhrwerk des {401} Weltenbaus, sondern auch dem Medium zu gelten scheint, in dem es sich malt, ja wiederholt: der Musik, dem Kosmos der Töne, und nicht wenig dazu beigetragen hat, dem Künstlertum meines Freundes den Vorwurf einer virtuos antikünstlerischen Gesinnung, der Lästerung, des nihilistischen Frevels zuzuziehen.
Doch hiervon genug. Die nächsten beiden Kapitel gedenke ich einigen gesellschaftlichen Erfahrungen zu widmen, die ich um jene Jahres- und Zeitenwende 1913–14, während des letzten Münchener Faschings vor Ausbruch des Krieges mit Adrian Leverkühn teilte.
XXVIII
Daß der Mietgast der Schweigestills sich nicht ganz in seiner von Kaschperl-Suso bewachten klösterlichen Einsamkeit vergrub, sondern, wenn auch sporadisch und mit Zurückhaltung, einer gewissen städtischen Geselligkeit pflog,
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