Doktor Faustus
die die Damen mit einer Art von prüdem Jubel die Hände über dem Kopf zusammenschlagen ließ. Ihn selbst angehend, so war es wohl Snobismus, der ihn sich in diesem Kreise gefallen ließ, nebst dem Bedürfnis, die elegante Einfalt mit Ideen in Erstaunen zu setzen, die am Literaten-Stammtisch wahrscheinlich weniger Sensation gemacht hätten. Ich mochte ihn nicht im mindesten, sah immer einen intellektuellen Quertreiber in ihm und hielt mich überzeugt, daß er auch Adrianen widerwärtig war, obgleich es aus mir nicht ganz klaren Gründen niemals zu einem näheren Austausch zwischen uns über Breisacher kam. Aber seine witternde Fühlung mit der geistigen Bewegung der Zeit, seine Nase für ihre neuesten Willensmeinungen habe ich nie geleugnet, und manches davon trat mir in seiner Person und seinem Salongespräch zu allererst entgegen.
Er war ein Polyhistor, der über alles und jedes zu reden wußte, ein Kulturphilosoph, dessen Gesinnung aber insofern
gegen
die Kultur gerichtet war, als er in ihrer ganzen Geschichte nichts als einen Verfallsprozeß zu sehen vorgab. Die verächtlichste Vokabel in seinem Munde war das Wort »Fortschritt«; er hatte eine vernichtende Art, es auszusprechen, und man fühlte wohl, daß er den konservativen Hohn, den er dem Fortschritt widmete, als den wahren Rechtsausweis für seinen Aufenthalt in dieser Gesellschaft, als Merkmal seiner Salonfähigkeit verstand. Es hatte Geist, aber keinen so recht sympathischen, wie er den Fortschritt der Malerei von der primitiv flächenhaften zur perspektivischen Darstellung verhohniegelte. Die Ablehnung der perspektivischen Augentäuschung durch die vor-perspektivische Kunst für Unfähigkeit, für Hilflosigkeit, eben für linkischen Primitivismus zu halten und wohl gar mitleidig die Achseln darüber zu zucken, das war es, was er für einen Gipfel alberner neuzeitlicher Arroganz erklärte. Ablehnung, {407} Verzicht, Geringschätzung seien nicht Unvermögen, Unbelehrtheit, kein Armutszeugnis. Als ob nicht die Illusion das allerniedrigste, dem Pöbel gerechteste Prinzip der Kunst, als ob es nicht einfach ein Zeichen noblen Geschmacks sei, nichts von ihr wissen zu wollen! Von gewissen Dingen nichts wissen zu wollen, diese Fähigkeit, der Weisheit sehr nahe stehend oder vielmehr ein Teil von ihr, sei leider abhanden gekommen, und die ordinäre Naseweisheit heiße sich Fortschritt.
Irgendwie fühlte die Salonbesatzung der geborenen von Plausig sich von diesen Ansichten angeheimelt, und eher noch, glaube ich, hatte sie ein Gefühl dafür, daß Breisacher nicht ganz der Rechte war, sie zu vertreten, als dafür, daß sie nicht die rechten Leute sein möchten, ihnen zu applaudieren.
Ähnlich, sagte er, verhalte es sich mit dem Übergang der Musik von der Monodie zur Mehrstimmigkeit, zur Harmonie, den man so gern als einen kulturellen Fortschritt betrachte, wo er doch gerade eine Akquisition der Barbarei gewesen sei.
»Das heißt … pardon … der Barbarei?« krähte Herr von Riedesel, der wohl gewohnt war, in der Barbarei eine, wenn auch leicht kompromittierende, Form des Konservativen zu sehen.
»Allerdings, Exzellenz. Die Ursprünge der mehrstimmigen Musik, das heißt des Gesanges in Quinten- oder Quartenzusammenklängen, liegen weitab vom Zentrum der musikalischen Zivilisation, von Rom, wo die schöne Stimme und ihr Kultus zu Hause waren; sie liegen im rauhkehligen Norden und scheinen eine Art von Kompensierung der Rauhkehligkeit gewesen zu sein. Sie liegen in England und Frankreich, namentlich im wilden Britannien, das sogar zuerst die Terz in die Harmonie aufnahm. Die sogenannte Höherentwicklung, die Komplizierung, der Fortschritt sind also zuweilen die Leistung der Barbarei. Ich stelle anheim, ob man diese dafür loben soll …«
{408} Es war klar und deutlich, daß er die Exzellenz und die ganze Gesellschaft zum besten hatte, indem er sich zugleich konservativ bei ihnen anbiederte. Offenbar war ihm nicht wohl, solange noch irgend jemand wußte, was er denken sollte. Selbstverständlich wurde die polyphone Vokal-Musik, diese Erfindung fortschrittlicher Barbarei, zum Gegenstand seiner konservativen Protektion, sobald der geschichtliche Übergang von ihr zum harmonisch-akkordischen Prinzip und damit zur Instrumental-Musik der jüngsten beiden Jahrhunderte sich vollzog. Nun war
diese
der Verfall, nämlich der Verfall der großen und einzig wahren Kunst des Kontrapunkts, des heilig kühlen Spieles der Zahlen, welches gottlob mit Gefühlsprostitution
Weitere Kostenlose Bücher