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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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sagte ich schon. Lieb und beruhigend schien ihm allerdings dabei die stehende und allen bekannte Notwendigkeit seines frühzeitigen Aufbruchs, die Gebundenheit an den 11 Uhr-Zug zu sein. Wir trafen bei den Roddes in der Rambergstraße zusammen, mit deren Kreise, den Knöterichs, Dr. Kranich, Zink und Spengler, Schwerdtfeger, dem Geiger und Pfeifer, ich denn also auf recht freundschaftlichen Fuß kam; ferner bei Schlaginhaufens, auch wohl bei Schildknapps Verleger Radbruch in der Fürstenstraße und in der eleganten Bel-Etage des Papierindustriellen Bullinger (übrigens rheinischer Herkunft), bei dem gleichfalls Rüdiger uns eingeführt hatte.
    Bei Roddes sowohl wie im Schlaginhaufen'schen Säulen-Salon hörte man gern mein Viola d'Amore-Spiel, das allerdings der gesellschaftliche Beitrag war, den ich, der schlichte und in der Konversation niemals sehr vive Gelehrte und Schulmann, vornehmlich zu bieten hatte. In der Rambergstraße waren es {402} namentlich der asthmatische Dr. Kranich und Baptist Spengler, die mich dazu anhielten: der eine aus numismatisch-antiquarischem Interesse (er unterhielt sich gern mit mir in seiner wohlartikulierten und klar gesetzten Sprechweise über die geschichtlichen Formen der Violen-Familie), der andere aus allgemeiner Sympathie für das Unalltägliche, ja Ausgefallene. Doch hatte ich in jenem Hause Rücksicht zu nehmen auf Konrad Knöterichs Begier, sich schnaubend auf dem Cello vernehmen zu lassen, und auf die übrigens berechtigte Vorliebe des kleinen Publikums für Schwerdtfegers einnehmendes Violinspiel. Desto mehr schmeichelte es meiner Eitelkeit (ich leugne das gar nicht), daß die Nachfrage des viel weiteren und gehobeneren Kreises, den der Ehrgeiz der Frau Dr. Schlaginhaufen, geb. von Plausig, um sich und ihren schwäbelnden, dabei sehr schwerhörigen Gatten zu versammeln wußte, nach meiner doch immer nur als Liebhaberei gepflegten Produktion sehr lebhaft war und mich fast immer nötigte, mein Instrument in die Briennerstraße mitzubringen, um die Gesellschaft mit einer Chaconne oder Sarabande aus dem 17ten Jahrhundert, einem »Plaisir d'Amour« aus dem 18ten zu regalieren oder ihnen eine Sonate von Ariosti, dem Freunde Händels, oder eines der von Haydn für die Viola di Bordone geschriebenen, aber auf der Viola d'amore wohl spielbaren Stücke vorzuführen.
    Nicht nur von Jeanette Scheurl pflegte die Anregung auszugehen, sondern auch von dem Generalintendanten, Exzellenz von Riedesel, dessen Gönnertum für das alte Instrument und die alte Musik nun freilich nicht, wie bei Kranich, gelehrt-antiquarischer Neigung entstammte, sondern rein konservativer Tendenz war. Das ist, versteht sich, ein großer Unterschied. Dieser Hofmann, ein ehemaliger Reiteroberst, der auf seinen gegenwärtigen Posten einzig und allein aus dem Grunde befohlen worden war, weil er dafür bekannt gewesen war, ein wenig Klavier zu spielen (wieviele Jahrhunderte scheint {403} heute die Zeit zurückzuliegen, wo man Generalintendant wurde, weil man von Adel war und dabei etwas Klavier spielte!) – Baron Riedesel also sah in allem Alten und Historischen eine Trutzburg gegen das Neuzeitliche und Umstürzlerische, eine Art von feudaler Polemik dagegen, und unterstützte es in dieser Gesinnung, ohne in Wahrheit irgend etwas davon zu verstehen. Denn so wenig man das Neue und Junge verstehen kann, ohne in der Tradition zu Hause zu sein, so unecht und steril muß die Liebe zum Alten bleiben, wenn man sich dem Neuen verschließt, das mit geschichtlicher Notwendigkeit daraus hervorgegangen. So schätzte und protegierte Riedesel das Ballett, und zwar, weil es »graziös« sei. Das Wort »graziös« bedeutete ihm ein konservativ-polemisches Schiboleth gegen das Modern-Aufrührerische. Von der künstlerischen Traditionswelt des russisch-französischen Balletts, deren Repräsentanten etwa Tschaikowsky, Ravel und Stravinsky sind, hatte er gar keine Ahnung und war weit entfernt von Ideen, wie der zuletzt genannte russische Musiker sie später über das klassische Ballett äußerte: es sei, als Triumph maßvoller Planung über das schweifende Gefühl, der Ordnung über den Zufall, als Muster apollinisch bewußten Handelns, das Paradigma der Kunst. Was ihm vielmehr dabei vorschwebte, waren einfach Gazeröckchen, Spitzengetrippel und »graziös« über den Kopf gebogene Arme – unter den Augen einer das »Ideale« behauptenden, das Häßlich-Problematische verpönenden Hofgesellschaft in den Logen und eines gezügelten

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