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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Bürgertums im Parterre.
    Nun wurde freilich bei Schlaginhaufens viel Wagner produziert, da ja die dramatische Sopranistin Tanja Orlanda, eine gewaltige Frau, und der Heldentenor Harald Kjöjelund, ein schon dicker Mann mit Zwicker und erzener Stimme, dort häufig Gäste waren. Aber Wagners Werk, ohne das sein Hoftheater auch nicht hätte bestehen können, hatte Herr von Riedesel, laut und heftig wie es war, mehr oder weniger ins Bereich {404} des Feudal-»Graziösen« einbezogen und brachte ihm Achtung entgegen, umso bereitwilliger, als es schon Neueres, darüber Hinausgehendes gab, das man ablehnen, und gegen das man Wagner konservativ ausspielen konnte. So kam es sogar vor, daß Seine Exzellenz die Sänger selbst am Flügel begleitete, was ihnen schmeichelte, obgleich seine pianistischen Künste dem Klavierauszug wenig gewachsen waren und ihnen mehr als einmal die Effekte gefährdeten. Ich hatte es gar nicht gern, wenn Kammersänger Kjöjelund Siegfrieds endlose und recht stumpfsinnige Schmiedelieder schmetterte, so daß die empfindlicheren Dekorationsstücke des Salons, Vasen und Kunstgläser in ein erregtes Mitschwingen und -Schwirren gerieten. Aber ich gestehe, daß ich der Erschütterung durch eine heroische Frauenstimme, wie die der Orlanda es damals war, schwer widerstehe. Die Wucht der Person, die Macht des Organs, die Geübtheit der dramatischen Akzente geben uns die Illusion einer königlichen Frauenseele in hohem Affekt, und nach dem Vortrage etwa von Isoldens »Frau Minne kenntest du nicht?« bis zu ihrem ekstatischen: »Die Fackel, wär's meines Lebens Licht, lachend sie zu löschen zagt' ich nicht« (wobei die Sängerin das theatralische Tun durch eine energisch niederstoßende Bewegung ihres Armes markierte) hätte nicht viel gefehlt, daß ich, Tränen in den Augen, vor der mit Beifall überschütteten, triumphierend Lächelnden hingekniet wäre. Übrigens war es diesmal Adrian, der sich bereit gefunden hatte, sie zu begleiten, und auch er lächelte, als er sich vom Klaviersessel davonmachte und sein Blick meine bis zum Weinen erschütterte Miene streifte.
    Es tut wohl, unter solchen Eindrücken selbst etwas zur künstlerischen Unterhaltung der Gesellschaft beitragen zu können, und so rührte es mich, wenn danach Exzellenz von Riedesel, sogleich unterstützt von der hochbeinig eleganten Hausfrau, mich in seiner zwar süddeutsch gefärbten, aber vom {405} Offizierston geschärften Sprechweise ermutigte, das Andante und Menuett von Milandre(1770) zu wiederholen, das ich schon kürzlich einmal auf meinen sieben Saiten hier zum besten gegeben. Wie schwach ist der Mensch! Ich war ihm dankbar, ich vergaß völlig meinen Widerwillen gegen seine glatte und leere, ja vor unverwüstlicher Unverschämtheit gewissermaßen klare Aristokratenphysiognomie mit dem gezwirbelten blonden Schnurrbart vor den rasierten Rundbacken und der blitzenden Monokelscheibe im Auge unter der weißlichen Braue. Für Adrian, das wußte ich wohl, stand die Figur dieses Ritters sozusagen jenseits jeder Bewertung, jenseits von Haß und Verachtung, ja jenseits des Gelächters; sie war ihm kein Achselzucken wert, und so empfand eigentlich auch ich. In solchen Augenblicken aber, wenn er mich zu spendender Aktivität aufforderte, damit die Gesellschaft sich vom Ansturm des Arriviert-Revolutionären bei etwas »Graziösem« erhole, konnte ich nicht umhin, ihm gut zu sein.
    Sehr seltsam, teils peinlich und teils komisch war es nun aber, wenn von Riedesels Konservatismus auf einen anderen stieß, bei dem es sich nicht sowohl um ein »Noch« als um ein »Schon wieder« handelte, einen nach- und gegenrevolutionären Konservatismus, ein Frondieren gegen bürgerlich-liberale Wertsetzungen von der anderen Seite, nicht von vorher, sondern von nachher. Zu solcher für den alten und unkomplizierten Konservatismus sowohl ermutigenden wie auch verblüffenden Begegnung bot der Zeitgeist nachgerade Gelegenheit, und auch in dem ehrgeizigerweise so farbig wie möglich komponierten Salon der Frau Schlaginhaufen war Gelegenheit dazu geboten: nämlich durch die Person des Privatgelehrten Dr. Chaim Breisacher, eines hochgradig rassigen und geistig fortgeschrittenen, ja waghalsigen Typs von faszinierender Häßlichkeit, der hier, offenbar mit einem gewissen boshaften Vergnügen, die Rolle des fermentösen Fremdkörpers spielte. {406} Die Hausfrau schätzte seine dialektische Redefertigkeit, die übrigens stark pfälzerisch getönt war, und seine Paradoxalität,

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