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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Rauchzimmer in seiner Leder-Bequemlichkeit, dem ehelichen Schlafzimmer, über dessen Lagerstättenpaar aus gelb poliertem Birnbaumholz Andeutungen von Betthimmeln schwebten, und auf dessen Damen-Toilettentisch sich die blitzenden Flacons, die silbernen Utensilien genau der Größe nach reihten, – sie war, sage ich, das noch einige Jahre in die auflösende Zeit hineindauernde Musterbild eines Heims deutschen Kultur-Bürgertums, – nicht zuletzt vermöge der »guten Bücher«, die man überall, im Wohn-, Empfangs- und Herrenzimmer, aufgestellt fand, und bei deren Erwerbung, teils aus repräsentativen Gründen, teils aus solchen seelischer Schonung, das Erregende und Zersetzende gemieden war: gediegen Bildungsmäßiges, die Historik Leopold von Rankes, die Schriften des Gregorovius, kunsthistorische Werke, deutsche und französische Klassiker, kurz Stabiles und Bewahrendes bildete den Grundstock. Mit den Jahren wurde die Wohnung noch schöner, oder doch voller und farbiger; denn Dr. Institoris war befreundet mit einem und dem anderen Münchener Künstler der besonneneren Glaspalast-Richtung (sein Kunstgeschmack war bei aller theoretischen Bejahung des Prangend-Gewalttätigen durchaus zahm), besonders mit einem gewissen Nottebohm, aus Hamburg gebürtig, verheiratet, hohlwangig, spitzbärtig und drollig, begabt für die lustige Imitation von Schauspielern, Tieren, Musikinstrumenten und Professoren, eine Stütze der nun freilich aussterbenden Karnevalsfeste, geschickt in der gesellschaftlichen Einfange-Technik des Portraitisten und als Künstler, ich darf es wohl sagen, der Mann einer inferioren Glattmalerei. Institoris, gewöhnt an den wissenschaftlichen Umgang mit dem Meisterhaften, unterschied entweder nicht zwischen diesem und einer gekonnten Mittelmäßigkeit, oder er glaubte seine Aufträge der guten Freundschaft schuldig {478} zu sein und verlangte auch wohl für seine Wände nichts Anderes, als das Artig-Unanstößige und Vornehm-Beruhigende, worin er zweifellos bei seiner Frau, wenn nicht von Geschmacks wegen, so doch gesinnungsweise entschiedene Unterstützung fand. Darum ließen beide sich von Nottebohm für gutes Geld sehr ähnlich und nichtssagend malen: jeder für sich sowohl, wie auch zusammen, und später, als Kinder kamen, durfte der Spaßmacher ein lebensgroßes Familienbild der Institoris verfertigen, eine puppige Darstellung, auf deren ansehnlicher Fläche eine Menge hochgefirnißter Ölfarbe verschwendet war, und die in reichem Rahmen, versehen mit elektrischer Eigen-Beleuchtung von oben und unten, das Empfangszimmer schmückte.
    Als Kinder kamen, sagte ich. Denn es kamen Kinder, und mit welcher Adrettheit, welcher zähen, fast möchte man sagen: heldenmütigen Verleugnung von Umständen, die dem Nobel-Bürgerlichen immer weniger Gunst gewährten, wurden sie gehegt und herangezogen – für eine Welt gleichsam, wie sie gewesen war, und nicht, wie sie werden wollte. Schon Ende 1915 beschenkte Ines ihren Gatten mit einem Töchterchen, Lukrezia genannt, gezeugt in gelb polierter Bettstatt unter gestutztem Himmel, nahe den symmetrisch aufgereihten Silbersachen auf der Glasplatte des Toilettentisches, und Ines erklärte sogleich, daß sie ein vollkommen erzogenes junges Mädchen, une jeune fille accomplie, wie sie sich in ihrem Karlsruher Französisch ausdrückte, aus ihr zu machen gedächte. Zwei Jahre später folgte ihr ein Zwillingspärchen, Mädchen wiederum, die in ebenso korrekter häuslicher Zeremonie, mit Chokolade, Portwein und Konfekt, aus silberner, mit Blumen bekränzter Schale auf die Namen Ännchen und Riekchen getauft wurden. Alle drei waren weiße, lieblich-verzärtelt lispelnde, um ihre Schleifenkleidchen besorgte, offenbar unter dem Druck des mütterlichen Tadellosigkeitswahnes stehende und auf traurige Art {479} von sich eingenommene Schattenpflänzchen und Luxus-Geschöpfchen, die ihre frühen Tage in preziösen Körbchen mit Seiden-Gardinen verbrachten und von einer Amme (denn Ines nährte sie nicht selbst; der Hausarzt hatte es ihr widerraten), einer noch ganz im bürgerlichen Pfingstochsenstil aufgeputzten Frau aus dem Volk, in niedrigen Schubwägelchen elegantester Konstruktion, auf Gummirädern unter den Lindenbäumen der Prinzregentenstraße spazieren gefahren wurden. Später war es ein Fräulein, gelernte Kindergärtnerin, die sie betreute. Das helle Zimmer, in dem sie aufwuchsen, wo ihre Bettchen standen, und wo Ines sie besuchte, sobald die Ansprüche des Haushalts und die

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