Doktor Faustus
Dieser, das ist meine Überzeugung, kann bei seinen gewagtesten, ungebundensten, der Menge ungemäßesten Vorstößen, Forschungen, Versuchen gewiß sein, auf irgend eine hoch-mittelbare Weise dem Menschen – auf die Dauer sogar den Menschen zu dienen.
Unzweifelhaft war das auch die natürliche Gesinnung Adrians. Aber es beliebte ihm, sie zu verleugnen, und ich irrte mich wohl sehr, wenn ich das als eine Verleugnung seines Hochmuts empfand. Vermutlich war es mehr ein Versuch in der Leutseligkeit – von äußersten Hochmuts wegen. Wenn nur nicht das Beben in seiner Stimme gewesen wäre, als er von der Erlösungsbedürftigkeit der Kunst, dem Du mit der Menschheit sprach, – diese Bewegtheit, die mich trotz allem in Versuchung brachte, ihm verstohlen die Hand zu drücken. Ich unterließ es aber und hatte vielmehr ein besorgtes Auge auf Rudi Schwerdtfeger, ob der ihn am Ende nicht wieder umarmen wollte.
XXXII
Die Vermählung Ines Roddes mit Professor Dr. Helmut Institoris war in der Anfangszeit des Krieges, als das Land noch in gutem, hoffnungsstarkem Zustande und ich selbst noch im Felde war, Frühjahr 1915, nach allem bürgerlichen advenant, mit ziviler und kirchlicher Trauung, einem Hochzeitsdiner im Hotel »Vier Jahreszeiten« und einer anschließenden Reise des jungen Paares nach Dresden und in die Sächsische Schweiz, {471} vollzogen worden – als Abschluß einer langen gegenseitigen Prüfung, die offenbar zu dem Ergebnis geführt hatte, daß man wohl zueinander passe. Der Leser spürt die Ironie, die ich, übrigens wahrhaftig ohne Bosheit, in dieses »Offenbar« lege; denn ein solches Ergebnis lag tatsächlich nicht vor, oder es hatte von allem Anfang an vorgelegen, und dem Verhältnis der Beiden war keinerlei Entwicklung beschieden gewesen, seit Helmut sich der Senatorstochter zuerst genähert. Was beiderseits für die Verbindung sprach, tat es im Augenblick der Verlobung und Eheschließung nicht mehr und nicht minder, als damals gleich, und Neues war nicht hinzugekommen. Aber der klassischen Mahnung: »Drum prüfe, wer sich ewig bindet« war formell Genüge geschehen, und die Länge der Prüfung selbst schien schließlich eine positive Lösung zu fordern – wozu noch ein gewisses Bedürfnis nach Zusammenschluß kam, das der Krieg zeitigte: So manches schwebende Verhältnis hatte er ja gleich anfangs zu beeilter Reife gebracht. Für Inessens Jawort aber, zu dem sie ja aus seelischen – oder muß ich sagen: materiellen Gründen, aus Vernunftgründen also, möge es heißen, – von jeher mehr oder weniger bereit gewesen war, fiel noch sehr stark der Umstand ins Gewicht, daß Clarissa gegen Ende vorigen Jahres München verlassen und ihr erstes Engagement in Celle an der Aller angetreten hatte, so daß also ihre Schwester mit einer Mutter, deren bohêmehafte Neigungen, so zahm wie sie waren, sie mißbilligte, allein geblieben wäre.
Übrigens hatte die Senatorin ihre gerührte Freude an der bürgerlichen Einordnung ihres Kindes, auf die sie ja auch durch die Unterhaltung ihres Salons, den gesellschaftlichen Betrieb ihres Hauses mütterlich hingearbeitet hatte. Sie selbst war dabei auf ihre Kosten gekommen, hatte ihrer »süddeutsch« gelockerten Lebenslust, die einiges nachzuholen wünschte, damit gedient und ihrer absinkenden Schönheit von den Männern, die sie einlud, Knöterich, Kranich, Zink und Spengler, {472} jungen Schauspiel-Eleven etc. den Hof machen lassen. Ja, ich gehe nicht zu weit, gehe vielmehr endlich nur gerade weit genug, wenn ich sage, daß sie auch mit Rudi Schwerdtfeger auf einem sehr scherzhaften, das Mutter-Sohn-Verhältnis neckisch travestierenden Fuß gestanden hatte, und daß besonders oft im Umgang mit ihm das zierlich girrende Lachen laut geworden war, das man an ihr kannte. Nach allem aber, was ich über die Bewegungen von Inessens Innenleben weiter oben angedeutet, ja ausgesprochen habe, kann ich es dem Leser überlassen, sich den komplizierten Unwillen, die Scham und Schande einzubilden, die sie angesichts dieser Tändeleien empfand. In meiner Gegenwart war es vorgekommen, daß sie während eines solchen Vorganges geröteten Angesichts den Salon ihrer Mutter verlassen und sich in ihr Zimmer zurückgezogen hatte, – an dessen Tür, wie sie vielleicht erhofft und erwartet, nach einer Viertelstunde Rudolf geklopft hatte, um nach dem Grunde ihres Verschwindens zu fragen, den er sicherlich kannte, der aber natürlich unaussprechlich war, – ihr zu sagen, wie sehr sie
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