Doktor Faustus
Schweigen. Je heimlicher sie waren, desto mehr bedurften sie des Dritten, des Vertrauten, des Guten, zu dem, mit dem man darüber sprechen konnte, – und der war ich; ich sah es ein und nahm meine Rolle auf mich.
{484} Wir hatten nach Helmuts Weggang einige Zeit, gleichsam solange er noch in Hörweite war, von gleichgültigen Dingen gesprochen. Plötzlich, fast überrumpelnd, sagte sie dann:
»Serenus, schelten, verachten, verwerfen Sie mich?«
Es wäre sinnlos gewesen, Nichtverstehen zu heucheln.
»Mitnichten, Ines«, erwiderte ich. »Bewahre Gott! Ich hab es mir immer gesagt sein lassen, jenes ›Die Rache ist mein, ich will vergelten‹. Ich weiß, Er senkt die Strafe schon in das Vergehen hinein und tränkt es ganz mit ihr, so daß das eine nicht vom anderen zu unterscheiden ist und Glück und Strafe dasselbe sind. Sie müssen sehr leiden. Säße ich hier, wenn ich zum Sittenrichter gemacht wäre? Daß ich für Sie
fürchte
, das leugne ich nicht. Aber ich hätte auch das für mich behalten ohne Ihre Frage, ob ich Sie schelte.«
»Was ist Leiden, was sind Furcht und demütigende Gefahr«, sagte sie, »im Vergleich mit dem einen, süßen, unentbehrlichen Triumph, ohne den man nicht leben wollte: das Leichtfertige, Entgleitende, das Weltliche, die Seele mit unverlässiger Nettigkeit Quälende, das aber dennoch wahren menschlichen Wert hat, an diesem seinem ernsten Werte festzuhalten, sein Stutzertum zum Ernst zu zwingen, das Lose zu besitzen und es endlich, endlich, nicht einmal nur, sondern zur Bestätigung und Versicherung nie oft genug, in dem Zustand zu sehen, der seinem Wert gebührt, im Zustand der Hingebung, der tief aufseufzenden Leidenschaft.«
Ich sage nicht, daß die Frau sich genau dieser Worte bediente, aber sehr annähernd so drückte sie sich aus. Sie war ja belesen und gewohnt, ihr inneres Leben nicht stumm zu führen, sondern es zu artikulieren, und hatte sich als Mädchen sogar in der Dichtkunst versucht. Ihre Worte besaßen gebildete Präzision und etwas von der Kühnheit, die immer entsteht, wenn die Sprache Gefühl und Leben ernstlich zu erreichen und in sich aufgehen zu lassen, sie in sich erst wahrhaft leben zu lassen {485} bestrebt ist. Dies ist kein alltäglicher Wunsch, sondern ein Erzeugnis des Affektes, und insofern sind Affekt und Geist verwandt, insofern aber auch ist der Geist ergreifend. Indem sie fortfuhr zu sprechen, nur selten mit halbem Ohr hinhörend auf das, was ich etwa einschaltete, waren ihre Worte, ich sage es offen, von einer sinnlichen Wonne durchtränkt, die mich anstehen läßt, sie hier in direkter Rede wiederzugeben. Mitleid, Diskretion, menschliche Ehrfurcht hindern mich daran und auch die, mag sein, spießbürgerliche Scheu, dem Leser Peinliches zuzumuten. Sie wiederholte sich vielfach – in dem Drange, dem schon Gesagten, das ihr noch nicht zu seinem Rechte gekommen schien, zu angemessenerem Ausdruck zu verhelfen. Und immer ging es dabei um die eigentümliche Gleichsetzung von Wert und sinnlicher Leidenschaft, um die fixe und sonderbar trunkene Idee, daß innerer Wert nur in der Lust, die offenbar etwas an Ernst dem »Werte« Gleiches war, sich erfüllen, sich verwirklichen könne, und daß es das zugleich höchste und unentbehrlichste Glück war, ihn dazu anzuhalten. Es ist schlechthin unbeschreiblich, welchen Akzent heißer und schwermütiger, übrigens ungesicherter Genugtuung in ihrem Munde diese Vermischung der Begriffe
Wert
und
Lust
annahm; wie sehr dabei die Lust als das Element des tiefsten Ernstes erschien, furchtbar entgegengesetzt dem verhaßten Element der »Gesellschaft«, an welches der Wert sich kokettisch spielend verriet, das das elbische, verräterische Element seiner Hülle, der Liebenswürdigkeit, war, und dem man ihn nehmen, entreißen mußte, um ihn allein, höchst allein, im letzten Sinn des Wortes allein zu haben. Die Zähmung der Liebenswürdigkeit zur Liebe, darum drehte es sich; aber zugleich um Abstrakteres, oder um etwas, worin Gedachtes und Sinnliches unheimlich in Eins verschmolzen: um die Idee, daß der Widerspruch zwischen der Frivolität des Gesellschaftsfestes und der traurigen Verdächtigkeit des Lebens aufgehoben war in seiner Umarmung, das Leiden daran aufs süßeste gerächt war durch diese.
{486} Von dem, was ich selber einwarf, weiß ich mich kaum noch an einzelnes zu erinnern, außer an eine Frage, die wohl den Zweck hatte, auf die erotische Überschätzung des Gegenstandes hinzudeuten und zu erfahren, wie diese
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