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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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drüben fehle, und ihr in allen Tönen, auch in solchen brüderlicher Zärtlichkeit, die Rückkehr abzuschwätzen. Nicht eher hatte er geruht, als bis sie ihm versprochen, – zwar nicht mit ihm zusammen, das denn doch nicht, aber einige Zeit nach ihm wieder zur Gesellschaft zu stoßen.
    Man verzeihe die nachträgliche Einschaltung dieses Vorkommnisses, das sich meiner Erinnerung eingeprägt hat, aber aus derjenigen der Senatorin Rodde, nun, da Ines' Verlobung und Eheschließung Tatsache geworden, auf eine gemütvolle Weise verbannt war. Nicht nur, daß sie die Hochzeit in aller Stattlichkeit ausgerichtet und es, in Ermangelung einer nennenswerten pekuniären Mitgift, an einer würdigen Aussteuer in Wäsche und Silber nicht hatte fehlen lassen; sie entäußerte sich auch manches Möbelstücks aus alter Zeit, gewisser geschnitzter Truhen, eines und des anderen vergoldeten Gitter {473} stühlchens, um zur Ausstattung der herrschaftlichen Wohnung beizutragen, die das junge Paar in der Prinzregentenstraße, zwei Treppen hoch – die Vorderzimmer gingen auf den Englischen Garten – gemietet hatte. Ja, wie um sich selbst und anderen zu beweisen, daß ihre Gesellschaftsfreudigkeit, die lustigen Abende in ihrem Salon wirklich nur den Glücksaussichten, der Unterkunft ihrer Töchter gedient hatten, legte sie nun entschiedene Abdankungswünsche, die Neigung an den Tag, sich von der Welt zurückzuziehen, empfing nicht mehr und löste schon etwa ein Jahr nach Ines' Verehelichung ihren Hausstand in der Rambergstraße auf, um ihr Witwenleben auf einen ganz anderen Fuß zu stellen, auf einen ländlichen: Sie zog nach
Pfeiffering
, wo sie, fast ohne daß Adrian es merkte, in jenem an dem freien Platz gegenüber dem Schweigestill-Hof gelegenen niederen Gebäude, mit den Kastanien davor, Wohnung nahm, wo vormals der Kunstmaler mit den schwermütigen Landschaften aus dem Waldshuter Moor gehaust hatte.
    Die Anziehungskraft dieses bescheiden-stilvollen Winkels auf jederlei distinguiertere Resignation oder verwundete Menschlichkeit war merkwürdig: Man mußte sie wohl aus dem Charakter der Hofbesitzer, besonders dem der rüstigen Wirtin, Else Schweigestills, und ihrer Gabe des »Verständnisses« erklären, die sie denn auch in gelegentlichem Gespräch mit Adrian, als sie ihm nämlich mitteilte, daß die Senatorin drüben einzuziehen gedenke, in wunderlicher Klarsicht bewährte. »Das ist ganz eimfach«, sagte sie (nach oberbayrischer Art assimilierte sie immer das n dem f, so daß ein m daraus wurde), »ganz eimfach und verständlich, Herr Leverkühn, ich hab es gleich gesehen. Sie hat g'nua von Stadt und Leut und Gesellschaft, von Herren und Damen, weil das Alter sie g'schamig macht. Das ist halt verschieden, es gibt welche, denen macht es nichts und arrangieren sich damit, und steht ihnen auch. Die werden bloß recht statiös und schelmisch auf die Läng, mit {474} weiße Ohr-Locken, netwahr, und so weiter, und was sie früher so angestellt ham, das lassen s' recht pikant und recht zum Vermuten durchblicken durch ihre derzeitige Würde, – die Männer charmiert das oft mehr, als man denken sollt'. Aber bei welchen, da geht es nicht und da steht es nicht, und wann die Backen magern und der Hals sich mergelt und es auch mit die Zähn' nix mehr ist beim Lachen, da schämen und grämen sie sich vorm Spiegel und lassen sich nimmer sehn vor die Leut', und haben einen Trieb, wie die leidende Kreatur, zum sich verstecken. Und wenn's der Hals und die Zähne nicht sind, dann sind's die Haar, die das Kreuz machen und die Schand. Und bei der Frau Senator, da sind's die Haar, i hab's gleich g'merkt. Sonst wär's noch ganz nett beinand, aber die Haar, wissen's, die gehn aus über der Stirn, daß der Ansatz verbatzt ist und sie mit der Brennscher bei aller Müh da vorn nichts rechts mehr hinbringt, und da verzweifelt's, denn das ist ein großes Leid, glauben S' es nur! und verzichten tut's auf die Welt und zieht zu die Schweigestills, das ist ganz eimfach.«
    So die Mutter mit ihrem straff gezogenen, leicht versilberten Scheitel, der in der Mitte den Streifen weißer Kopfhaut sehen ließ. Adrian, wie gesagt, war wenig berührt von dem Einzug der neuen Mieterin dort drüben, die, als sie zuerst den Hof besucht hatte, sich von der Wirtin zu kurzem Einspruch hatte zu ihm führen lassen, dann aber, seine Arbeitsruhe schonend, für seine Zurückhaltung die ihre in Tausch gab und ihn nur einmal, gleich anfangs, zum Tee bei sich sah, – in diesen

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