Doktor Faustus
Monate nach ihrer Verehelichung lag, bis gegen Ende des Jahrzehnts, und wenn sie dann nicht mehr so lebte, so darum, weil er, den sie aus allen Kräften zu halten gesucht hatte, sich ihr entzog. Sie war es, die, indem sie zugleich die exemplarische Hausfrau und Mutter abgab, das Verhältnis dirigierte, manipulierte und verschleierte, ein tägliches Kunststück und ein Doppelleben, das natürlich an ihren Nerven zehrte und zu ihrer höchsten Angst die prekäre Lieblichkeit ihrer Erscheinung bedrohte, – zum Beispiel, indem es die beiden Falten an der Nasenwurzel, zwischen ihren blonden Brauen, auf eine gewisse maniakalische Weise vertiefte. Dabei ist, bei aller Vorsicht, Schläue und virtuosen Diskretion, die darauf {482} verwandt wird, solche Abwegigkeiten den Augen der Gesellschaft zu verbergen, der Wille dazu auf beiden Seiten auch wieder niemals ganz klar und ungebrochen: sowohl beim Manne, dem es ja schmeicheln muß, wenn man sein gutes Glück wenigstens vermutet, wie auch sogar bei der Frau, deren geschlechtlicher Stolz es heimlich geradezu darauf abgesehen hat, daß man wisse, sie müsse sich nicht mit den von niemandem hoch veranschlagten Liebkosungen ihres Gatten begnügen. Darum täusche ich mich kaum in der Annahme, daß die Kenntnis von Ines Institoris' Nebenwegen in ihrem Münchener Kreise ziemlich allgemein verbreitet war, obgleich ich nie mit jemandem, außer mit Adrian Leverkühn, ein Wort darüber gewechselt habe. Ja, ich gehe so weit, mit der Möglichkeit zu rechnen, daß auch Helmut selbst die Wahrheit kannte: Das Vorkommen einer gewissen Mischung von gebildeter Güte, kopfschüttelnd bedauernder Duldung und – Friedensliebe spricht für diese Annahme, und es geschieht garnicht selten, daß die Gesellschaft den Gatten für den einzig Blinden hält, während er der Meinung ist, außer ihm wisse niemand etwas. Dies die Bemerkung eines alten Mannes, der ins Leben geblickt hat.
Ich hatte nicht den Eindruck, daß Ines sich um irgendwelche Mitwisserschaft sonderlich kümmerte. Sie tat ihr Bestes, um solche hintanzuhalten, aber das war mehr ein Wahren des Dekors, – wer durchaus wollte, mochte Bescheid wissen, wenn er sie nicht störte. Die Leidenschaft ist zu eingenommen von sich, um sich vorstellen zu können, daß irgend jemand ihr ernstlich entgegen sei. Wenigstens ist dies in Liebesdingen so, wo das Gefühl jedes Recht der Welt für sich in Anspruch nimmt und in aller Verbotenheit und Anstößigkeit ganz unwillkürlich auf Verständnis rechnet. Wie hätte Ines, wenn sie sich sonst für ganz unbelauscht gehalten hätte, meine Eingeweihtheit so ohne weiteres voraussetzen können? Sie tat das aber so gut wie {483} rückhaltlos – nur gerade daß ein bestimmter Name ausfiel – in einem abendlichen Gespräch, das wir – es wird im Herbst 1916 gewesen sein – mit einander führten, und um das es ihr offenbar zu tun gewesen war. Ich hatte mir damals, anders als Adrian, der, wenn er einmal den Abend in München verbracht hatte, immer an seinem 11 Uhr-Zug zur Heimkehr nach Pfeiffering festhielt, in Schwabing, nicht weit hinterm Siegesthor, Hohenzollernstraße, ein Stübchen gemietet, um unabhängig zu sein und unter Umständen in der Hauptstadt ein Obdach zu haben. So konnte ich, bei den Institoris als guter Freund zum Abendessen eingeladen, bereitwillig zustimmen, als Ines, unterstützt von ihrem Gatten, mich schon bei Tische bat, ihr nachher noch Gesellschaft zu leisten, wenn Helmut, der vorhatte, im Allotria-Club Karten zu spielen, gegangen sein würde. Er ging kurz nach 9 Uhr mit dem Wunsche, wohl zu plaudern. Dann saßen Hausfrau und Gast allein im Täglichen Wohnzimmer, das mit kissenbelegten Korbmöbeln ausgestattet war, und wo Ines' Büste, von einem befreundeten Bildhauer in Alabaster gearbeitet, auf einer Säulenkonsole stand, – sehr ähnlich, sehr pikant, ein gut Teil unter Lebensgröße, aber außerordentlich sprechend mit dem schweren Haar, den verschleierten Augen, dem zarten, schräg vorgeschobenen Hälschen, dem in schwieriger Schalkhaftigkeit gespitzten Mund.
Und ich war der Vertraute wieder, der »gute«, keine Emotionen erweckende Mensch im Gegensatz zur Welt des Reizenden, die Ines wohl in dem Jungen verkörpert fand, von dem mit mir zu sprechen es sie verlangte. Sie sagte es selbst: Die Dinge, das Geschehende, Erlebte, Glück, Liebe und Leiden kamen nicht zu ihrem Recht, wenn sie stumm blieben und eben nur genossen, erlitten wurden. Sie genügten sich nicht in Nacht und
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