Doktor Faustus
paar schlicht getünchten und niedrigen Stuben hinter den Kastanien zu ebener Erde, die mit den bürgerlich-eleganten Resten ihres Hausrats, Kandelabern, Steppfauteuils, dem »Goldenen Horn« in schwerem Rahmen, dem Flügel mit der Brokatdecke darüber, wunderlich genug angefüllt waren. Von da an, wenn man einander im Dorf oder auf Feldwegen begegnete, wechselte man nur einen freundlichen Gruß oder stand auch ein paar {475} Minuten im Gespräch über die arge Lage des Landes, die wachsende Ernährungsnot in den Städten, unter der man hier weit weniger litt, so daß denn die Eingezogenheit der Senatorin eine praktische Rechtfertigung und scheinbar etwas wie sorgende Vorsätzlichkeit gewann, indem sie ihr erlaubte, ihre Töchter, ja auch ehemalige Freunde ihres Hauses, wie die Knöterichs, von Pfeiffering aus mit Lebensmitteln, Eiern, Butter, Würsten und Mehl, zu versehen. Aus diesen Packungen und Sendungen machte sie sich während der kargsten Jahre geradezu einen Beruf. –
Die Knöterichs hatte Ines Rodde, nun reich, rangiert und gegen das Leben gepolstert, aus der kleinen Schar der ehemaligen Salongäste ihrer Mutter, wie etwa noch den Numismatiker Dr. Kranich, Schildknapp, Rudi Schwerdtfeger und mich selbst – aber nicht Zink und Spengler und auch das theatralische Künstlervölkchen, die Studienkollegen Clarissas nicht – für ihre und ihres Mannes eigene Geselligkeit übernommen, die durch Universitätselemente, ältere und jüngere Dozenten der beiden Hochschulen und ihre Damen ergänzt wurde. Mit Frau Knöterich, Natalia, spanisch-exotisch von Ansehen, stand sie sogar auf freundschaftlichem, ja vertraulichem Fuß, und dies, obgleich die recht anmutige Frau in dem ziemlich unbezweifelten Rufe stand, dem Morphium ergeben zu sein, – eine Nachrede, die meiner Beobachtung durch ihre reizvoll gesprächige Glanzäugigkeit zu Beginn einer Gesellschaft und durch ihr gelegentliches Verschwinden, um diese allmählich in Verfall geratene Munterkeit wieder aufzufrischen, bestätigt wurde. Daß die so ganz auf konservative Würde, patrizische Respektabilität gestellte Ines, die ihre Ehe ja nur eingegangen war, um sich diese Sehnsüchte erfüllen zu können, den Umgang mit Natalia demjenigen mit den gesetzten Gattinnen der Kollegen ihres Mannes, dem Typ der deutschen Professorenfrau vorzog, sie privatim besuchte, sie allein bei sich sah, zeigte {476} mir so recht den Zwiespalt in ihrer Natur, und wie zweifelhaft es im Grunde um die persönliche Rechtmäßigkeit und Zukömmlichkeit ihres bürgerlichen Heimwehs bestellt war.
Daß sie ihren Gatten, diesen klein angelegten und seinerseits in ästhetischen Kraft-Ambitionen sich gefallenden Schönheitsgelehrten, nicht liebte, war mir nie zweifelhaft. Es war eine gewollte Anstandsliebe, die sie ihm widmete, und soviel ist wahr, daß sie in vollendeter Distinktion, verfeinert noch durch jene gewisse zarte und schwierige Schalkheit des Ausdrucks, seine Stellung repräsentierte. Die Akkuratesse, mit der sie seinem Hauswesen vorstand, seine Empfänge vorbereitete, war schon mehr leidende Pedanterie zu nennen – und das unter ökonomischen Umständen, die die Aufrechterhaltung bürgerlicher Korrektkeit von Jahr zu Jahr mehr erschwerten. Zu ihrer Hilfe bei der Betreuung der teuren und schönen Wohnung mit persischen Teppichen auf glänzenden Parketts hatte sie zwei wohlgezogene und comme il faut gekleidete Dienstmädchen, mit Häubchen und gestärkten Schürzenbändern, von denen die Eine, das Zimmermädchen, Jungferndienste bei ihr versah. Nach dieser Sophie zu schellen, war ihre Leidenschaft. Sie tat es immerfort, um des Genusses herrschaftlicher Bedienung willen und um sich des Schutzes, der Pflege zu versichern, die sie sich durch ihre Heirat erkauft. Sophie war es auch, die ihr die Unzahl von Koffern und Köfferchen zu packen hatte, welche sie mit sich nahm, wenn sie mit Institoris aufs Land, nach Tegernsee oder Berchtesgaden, reiste, selbst wenn es nur auf einige Tage geschah. Diese Berge von Gepäck, mit denen sie sich bei jedem kleinsten Ausflug aus ihrem Sorgfaltsnest beschwerte, waren mir ebenfalls ein Symbol ihres Schutzbedürfnisses und ihrer Lebensängstlichkeit.
Von der vor jedem Stäubchen bewahrten Acht-Zimmer-Wohnung in der Prinzregentenstraße muß ich noch sprechen. Sie war, mit ihren beiden Salons, von denen der eine, traulicher {477} eingerichtet, als tägliches Wohngemach diente, ihrem geräumigen Speisezimmer in geschnitzter Eiche, dem Herren- und
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