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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Sorge um ihre eigene Soigniertheit es erlaubten, war mit seinem die Wände umlaufenden Märchenfries, seinen ebenfalls märchenhaften Zwergenmöbeln, dem bunten Linoleumbelag und der Welt von wohl geordnetem Spielzeug, Teddybären, Roll-Lämmern, Hampelmännern, Käthe Kruse-Puppen und Eisenbahnen auf den Wandborten, das Musterbild eines häuslichen Kinderparadieses, genau wie es im Buche steht.
    Muß ich nun sagen, oder wiederholen, daß es mit all dieser Richtigkeit keineswegs seine Richtigkeit hatte, daß sie auf Willelei, um nicht zu sagen: auf Lüge beruhte und nicht nur von außen mehr und mehr in Frage gestellt wurde, sondern für das schärfere, durch Teilnahme geschärfte Auge auch innerlich brüchig war und weder beglückte, noch in der Seele geglaubt und auch nur wahrhaft gewollt wurde? Mir schien diese ganze Glückskorrektheit immer eine bewußte Verleugnung und Übertünchung des Problematischen; zu Inessens Leidenskult stand sie in sonderbarem Widerspruch, und meiner Meinung nach war die Frau zu klug, sich darüber zu täuschen, daß die idealische Bürgerhecke, zu der sie das Dasein ihrer Kinder zimperlich verklärte, der Ausdruck und die Überverbesserung der Tatsache war, daß sie sie nicht liebte, sondern die Früchte einer {480} Verbindung in ihnen sah, die sie mit schlechtem weiblichen Gewissen eingegangen war, und in der sie unter fleischlichen Widerständen lebte.
    Großer Gott, es war selbstverständlich keine berauschende Wonne für eine Frau, mit Helmut Institoris zu schlafen! Soviel verstehe ich auch von weiblichen Träumen und Ansprüchen und war immer gezwungen, mir vorzustellen, daß Ines ihre Kinder rein pflichtgemäß duldend und sozusagen abgewandten Gesichtes von ihm empfangen hatte. Denn sie waren die seinen, daran ließ die Ähnlichkeit aller drei mit ihm keinen Zweifel, die diejenige mit der Mutter weit überwog, vielleicht weil deren seelische Teilnahme bei ihrer Erzeugung so gering gewesen war. Und überhaupt möchte ich der natürlichen Ehre des kleinen Herrn in keiner Weise zu nahe treten. Er war gewiß ein ganzer Mann, wenn auch in Männchengestalt, und durch ihn erfuhr Ines die Lust, – eine glücklose Lust, auf deren ärmlichem Boden ihre Leidenschaft wuchern konnte.
    Ich habe es ja gesagt, daß Institoris, als er um Ines' Jungfräulichkeit zu freien begonnen, es eigentlich für einen anderen getan hatte. So denn nun auch war er als Gatte nur der Erwecker abschweifender Wünsche, einer halben, im Grunde kränkenden Glückserfahrung, die nach Ergänzung, Verifizierung, Genugtuung verlangte und das Leid, das sie um Rudi Schwerdtfeger trug, und das sich mir im Gespräch mit ihr sonderbar enthüllt hatte, zur Leidenschaft aufflammen ließ. Es ist ganz klar: als Gegenstand der Werbung begann sie kummervoll seiner zu gedenken, als wissende Frau verliebte sie sich mit vollem Bewußtsein und in aller Vollständigkeit des Gefühls und der Begierde in ihn. Und auch das kann keinem Zweifel unterliegen, daß der junge Mann gar nicht umhinkonnte, diesem ihm leidend und mit geistiger Überlegenheit entgegendrängenden Gefühl zu gehorchen, – fast hätte ich gesagt: es wäre »noch schöner« gewesen, wenn er ihm
nicht
gehorcht hät {481} te, wobei mir das schwesterliche »Hopp, Mensch, was fällt Ihnen ein, springen Sie gefälligst!« im Ohre klingt. Nochmals, ich schreibe keinen Roman und spiegle nicht allwissende Autoreneinsicht in die dramatischen Phasen einer intimen, den Augen der Welt entzogenen Entwicklung vor. Aber soviel ist gewiß, daß Rudolf, in die Enge getrieben, ganz unwillkürlich und mit einem »Was soll ich machen?« jenem stolzen Kommando parierte, – wobei ich mir sehr wohl vorstellen kann, wie seine Passion für den Flirt, das anfänglich harmlose Vergnügen an einer sich immer mehr spannenden und erhitzenden Situation ihn in ein Abenteuer lockte, dem er ohne diese Neigung zum Spiel mit dem Feuer auch hätte ausweichen können.
    Mit anderen Worten: Unter der Decke bürgerlicher Untadeligkeit, nach deren Schutz sie doch so heimwehkränklich verlangt hatte, lebte Ines Institoris im Ehebruch mit einem der seelischen Konstitution und selbst dem Gehaben nach knabenhaften Frauenliebling, der ihr Zweifel und Kummer machte, wie sonst eine leichtfertige Frau dem ernstlich liebenden Manne Zweifel und Kummer macht, und in dessen Armen ihre von unlieber Ehe geweckten Sinne Genüge fanden. Sie lebte so Jahre lang, von einem Zeitpunkt an, der, wenn ich recht sehe, nur wenige

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