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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Beschreibung zu Ende gekommen war, es war das erste Blatt der Dürer'schen Holzschnitt-Serie zur Apokalypse. Wie hätte ich an den Vergleich, der mir damals seltsam hergeholt schien, und der mir dennoch sofort gewisse Ahnungen einflößte, nicht zurückdenken sollen, als sich mir später Adrians Vorhaben, das Werk, das er bewältigte, indem es ihn überwältigte, und für das seine Kräfte sich gesammelt hatten, während sie qualvoll daniederlagen, langsam enthüllte? Hatte ich nicht recht, zu sagen, daß die depressiven und produktiv gehobenen Zustände des Künstlers, Krankheit und Gesundheit, keineswegs scharf getrennt gegeneinander stehen? Daß vielmehr in der Krankheit, und gleichsam unter ihrem Schutz, Elemente der Gesundheit am {516} Werke sind und solche der Krankheit geniewirkend in die Gesundheit hinübergetragen werden? Es ist nicht anders, ich danke die Einsicht einer Freundschaft, die mir viel Kummer und Schrecken bereitet, mich stets aber auch mit Stolz erfüllt hat: Genie ist eine in der Krankheit tief erfahrene, aus ihr schöpfende und durch sie schöpferische Form der Lebenskraft.
    Die Konzeption des apokalyptischen Oratoriums, die heimliche Beschäftigung damit, reicht also weit zurück in eine Zeit scheinbar völliger Erschöpfung von Adrians Lebenskräften, und die Vehemenz und Schnelligkeit, mit der es danach, in wenigen Monaten, zu Papier gebracht wurde, gab mir immer die Vorstellung ein, als sei jener Elendszustand eine Art von Refugium und Versteck gewesen, in das seine Natur sich zurückzog, um unbelauscht, unbeargwöhnt, in ausgeschalteter, von unserem Gesundheitsleben schmerzhaft abgesonderter Verborgenheit Entwürfe zu hegen und zu entwickeln, zu denen gemeines Wohlsein gar nicht den abenteuerlichen Mut verleiht, und die gleichsam aus dem Unteren geraubt, von dorther mitgebracht und zu Tage getragen sein wollen. Daß sich mir, was er vorhatte, nur schrittweise, von Besuch zu Besuch, enthüllte, sagte ich schon. Er schrieb, skizzierte, sammelte, studierte und kombinierte; das konnte mir nicht verborgen bleiben, mit inniger Genugtuung nahm ich es wahr. Vortastende Erkundigungen stießen durch Wochen noch auf eine halb spielerische, halb ein nicht geheueres Geheimnis scheu und ärgerlich schützende Verschwiegenheit und Abwehr, auf ein Lachen bei zusammengezogenen Brauen, auf Redensarten wie: »Laß du den Vorwitz und halte dein Seelchen rein!« Oder: »Immer erfährst du, mein Guter, davon noch früh genug.« Oder, deutlicher und zum Eingeständnis etwas bereiter: »Ja, da brauen heilige Greuel. Das theologische Virus bringt man, scheint's, nicht so leicht aus dem Blut. Unversehens gibt es ein stürmisches Rezidiv.«
    {517} Der Wink bestätigte Vermutungen, die mir bei der Beobachtung seiner Lektüre aufgestiegen waren. Auf seinem Arbeitstisch fand ich eine wunderliche Scharteke: eine aus dem 13. Jahrhundert stammende französische Versübertragung der Paulus-Vision, deren griechischer Text dem 4. Jahrhundert angehört. Auf meine Frage, woher ihm denn das gekommen, antwortete er:
    »Die Rosenstiel hat es mir besorgt. Nicht das erste Curiosum, das sie für mich aufgestöbert hat. Ein umgetanes Frauenzimmer. Ihr ist nicht entgangen, daß ich für Leute, die ›niedergestiegen‹ sind, was übrig habe. Ich meine: niedergestiegen zur Hölle. Das schafft Familiarität zwischen so weit auseinanderstehenden Figuren wie Paulus und dem Äneas des Vergil. Erinnerst du dich, daß Dante sie brüderlich zusammen nennt, als Zweie, die drunten waren?«
    Ich erinnerte mich. »Leider«, sagte ich, »kann deine filia hospitalis dir das nicht vorlesen.«
    »Nein«, lachte er, »fürs Alt-Französische muß ich meine eigenen Augen brauchen.«
    Zur Zeit nämlich, als er seine Augen
nicht
hatte brauchen können, als der Schmerzensdruck über ihnen und in ihrer Tiefe ihm das Lesen unmöglich gemacht, hatte Clementine Schweigestill ihm öfters vorlesen müssen, und zwar Dinge, die dem freundlichen Landmädchen sonderbar genug – und auch wieder nicht unpassend vom Munde gingen. Ich selbst hatte das gute Kind bei Adrian in der Abtsstube betroffen, wie sie dem im Bernheimer-Stuhl Ruhenden, ihrerseits sehr geraden Rückens im Savonarola-Sessel vor dem Schreibtisch sitzend, in einem rührend schwerfälligen und gespreizt hochdeutschen Volksschul-Tonfall aus einem stockfleckigen Pappgebinde, das wohl ebenfalls durch die findige Rosenstiel ins Haus gekommen war, die ekstatischen Erlebnisse der Mechthild von Magdeburg

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