Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
seinen eigenen Worten sogar die Erinnerung daran, was das sei: Komponieren, und wie man das mache, entschwunden war. Das ging vorüber, Anfang August 1919 arbeitete er wieder, und ehe dieser Monat, der viele sehr sonnenheiße Tage hatte, zu Ende ging, war alles getan. Die viereinhalb Monate, die ich dem Werk als Entstehungsfrist zuschrieb, gelten bis zu dem Beginn der Ermattungspause. Diese und die Schlußarbeit eingerechnet, waren es, staunenswert genug, sechs Monate, deren er für die Niederschrift der Apocalipsis in Skizzenform bedurfte.

XXXIV
(Fortsetzung)
    Und ist dies nun alles, was ich über das tausendfach verhaßte und mit Widerwillen umgangene, hundertfach aber doch auch schon geliebte und erhobene Werk des verewigten Freundes in seiner Biographie zu sagen habe? Doch nicht. So manches noch habe ich darüber auf dem Herzen, aber gleich hatte ich mir vorgenommen, die Eigenschaften und Charakterzüge, durch die es mich – versteht sich: auf eine bewunderungsvolle Art – bedrückte und verschreckte, besser gesagt: auf eine ängstliche Weise
interessierte
, – gleich, sage ich, hatte ich mir vorgenommen, dies alles im Zusammenhang mit jenen rein abstrakten Zumutungen zu kennzeichnen, denen ich bei den schon kurz berührten Diskussionen in der Wohnung des Herrn Sixtus Kridwiß ausgesetzt war. Waren es doch die Neuigkeitsergebnisse dieser Abende, die mir zusammen mit der Beteiligung an Adrians einsamem Werk die seelische Überanstrengung zufügten, in der ich damals lebte, und die mich tatsächlich gut vierzehn Pfund meines Körpergewichtes kosteten.
    Kridwiß, Graphiker, Buchschmuck-Künstler und Sammler ostasiatischer Farbenholzschnitte und Keramik, ein Gebiet, über das er auch, eingeladen von dieser und jener kulturellen {526} Vereinigung, in verschiedenen Städten des Reiches und sogar im Auslande, kundige und gescheite Vorträge hielt, war ein altersloser, zierlicher Herr von stark rheinhessischer Sprechweise und ungewöhnlicher geistiger Angeregtheit, der ohne feststellbare gesinnungsmäßige Bindung, rein neugierigerweise die Bewegungen der Zeit behorchte und dies und das, was ihm davon zu Ohren kam, als »scho' enorm wischtisch« bezeichnete. Er ließ es sich angelegen sein, seine Wohnung in der Schwabinger Martiusstraße, deren Empfangsraum mit reizenden chinesischen Malereien in Tusche und Farbe (aus der Sung-Zeit!) geschmückt war, zu einem Treffpunkt führender oder doch eingeweihter und am geistigen Leben beteiligter Köpfe zu machen, so viele davon die gute Stadt München eben in ihren Mauern barg, und arrangierte dort diskursive Herrenabende, intime Round-table-Sitzungen von nicht mehr als acht bis zehn Persönlichkeiten, zu denen man sich nach dem Abendessen, etwa um 9 Uhr einfand, und die, ohne daß der Gastgeber es sich weiter viel Bewirtung hätte kosten lassen, rein auf das zwanglose Beisammensein, den Gedankenaustausch gestellt waren. Übrigens bewahrte dieser nicht immerfort intellektuelle Hochspannung; öfters glitt er ins Gemütlich-Alltäglich-Plauderhafte ab, schon aus dem Grunde, weil, dank Kridwißens gesellschaftlichen Neigungen und Verbindlichkeiten, das geistige Niveau der Teilnehmer denn doch etwas uneben war. So nahmen wohl an den Sitzungen zwei in München studierende Mitglieder des großherzoglich Hessen-Nassauischen Hauses teil, freundliche junge Leute, die der Hausherr mit einer gewissen Begeisterung »die schönen Prinsen« nannte, und auf deren Anwesenheit, wenn auch nur, weil sie so sehr viel jünger waren als wir alle, beim Gespräch einige Rücksicht zu nehmen war. Ich will nicht sagen, daß sie gestört hätten. Oft ging eine höhere Unterhaltung unbekümmert über ihre Köpfe hinweg, wobei sie die bescheiden lächeln {527} den oder auch ernsthaft staunenden Zuhörer machten. Irritierender für mich persönlich war die Gegenwart jenes dem Leser schon bekannten Paradoxenreiters, Dr. Chaim Breisacher, den ich, wie längst eingestanden, nicht leiden konnte, dessen Scharf- und Spürsinn aber bei solchen Gelegenheiten unentbehrlich schien. Daß auch Fabrikant Bullinger zu den Gebetenen gehörte, einzig durch seine hohe Steuerklasse legitimiert, über die schwerwiegendsten Kulturfragen schallend mitzuschwadronieren, ärgerte mich gleichfalls.
    Ich will nur weitergehen und bekennen, daß ich mir eigentlich zu keinem von der Tischrunde so recht ein Herz fassen, keinem ein ungetrübtes Vertrauen entgegenbringen konnte, – wobei ich etwa Helmut Institoris ausnehme, der

Weitere Kostenlose Bücher