Doktor Faustus
Apokalypse, gewissermaßen auf ein Resumé aller Verkündigungen des Endes hinausläuft. Der Titel »Apocalipsis cum figuris« ist eine Huldigung an Dürer und will wohl auch das Visuell-Verwirklichende, dazu das Graphisch-Minutiöse, die dichte Gefülltheit des Raumes mit phantastisch-exakter Einzelheit betonen, die beiden Werken gemeinsam sind. Aber es fehlt viel, daß Adrians ungeheueres Fresko den fünfzehn Illustrationen des Nürnbergers programmatisch folgte. Es legt zwar seinen furchtbar-kunstvollen Klängen viele Worte des geheimnisvollen Dokumentes unter, das auch jenen inspirierte; aber er hat den Spielraum der musikalischen Möglichkeiten, der chorischen, rezitativischen, ariosen, erweitert, indem er sowohl manches aus den düsteren Partien des Psalters, zum Beispiel jenes durchdringende »Denn meine Seele ist voll Jammers und mein Leben nahe bei der Hölle«, als auch die ausdrucksvollsten Schreckbilder und Denunziationen der Apokryphen, ferner gewisse heute unsäglich anzüglich wirkende Fragmente aus Jeremias' Klageliedern, dazu noch Entlegeneres, in seine Komposition einbezog, was alles dazu beitragen muß, den Gesamteindruck des Sich-Auftuns der anderen Welt, des Hereinbrechens der Abrechnung zu erzeugen, einer Höllenfahrt, worin die Jenseitsvorstellungen früher, schamanenhafter Stufen und die von Antike und Christentum bis zu Dante entwickelten visionär verarbeitet sind. Von Dantes Gedicht hat Leverkühns tönendes Gemälde viel, noch mehr von jener körperstrotzend übervölkerten Wand, auf welcher Engel hier in {521} die Posaunen des Untergangs stoßen, dort Charons Nachen sich seiner Last entlädt, die Toten auferstehen, die Heiligen anbeten, Dämonenmasken den Wink des schlangengegürteten Minos erwarten, der Verdammte, üppig in Fleisch, von grinsenden Söhnen des Pfuhls umschlungen, getragen, gezogen, gräßliche Abfahrt hält, indem er ein Auge mit der Hand bedeckt und mit dem anderen entsetzensvoll ins ewige Unheil starrt, nicht weit von ihm aber die Gnade zwei Sünderseelen noch aus dem Falle ins Heil emporzieht, – kurzum von dem Gruppen- und Szenenaufbau des Jüngsten Gerichts.
Man verzeihe es dem Manne der Bildung, der ich nun einmal bin, wenn er von einem ihm beängstigend nahestehenden Werk zu sprechen versucht, indem er es mit gegebenen und vertrauten Kultur-Monumenten in Vergleich setzt. Es dient das der Beruhigung, deren ich noch heute bedarf, wenn ich davon spreche, wie ich ihrer bedurfte zu der Zeit, als ich mit Schrecken, Staunen, Beklemmung, Stolz seiner Entstehung beiwohnte, – ein Erlebnis, das wohl meiner liebenden Ergebenheit für seinen Urheber zukam, aber eigentlich über meine seelischen Möglichkeiten ging, so daß ich bis zum Erzittern davon hergenommen wurde. Nach jenen ersten Zeiten der Verheimlichung und Abwehr nämlich, eröffnete er dem Kindheitsfreunde sehr bald den Zugang zu seinem Tun und Treiben, so daß ich bei jedem Besuch in Pfeiffering – und natürlich sprach ich dort vor, so oft ich konnte, fast immer über den Samstag und Sonntag – neue Partien des Entstehenden aufnehmen durfte: Zuwüchse und Pensa eines zuweilen unglaublichen Umfangs, von Mal zu Mal, so daß, besonders wenn man die strengen Gesetzen sich unterwerfende geistige und technische Kompliziertheit der Faktur in Anschlag brachte, einen an bürgerlich mäßigen und gesetzten Arbeitsfortschritt Gewöhnten der bleiche Schrecken davor ankommen konnte. Ja, ich gestehe, daß zu meiner, mag sein, einfältigen, ich möchte {522} sagen: kreatürlichen Furcht vor dem Werk die ganz und gar unheimliche Rapidität, mit der es zustandekam – der Hauptsache nach in viereinhalb Monaten, in einer Zeitspanne, die man ihm allenfalls als mechanischer Schreiberei, als bloßer
Abschrift
zugemessen hätte – beinahe das meiste beitrug.
Offensichtlich und eingestandenermaßen lebte dieser Mensch damals in einer Hochspannung durchaus nicht rein beglückender, sondern hetzender und knechtender Eingebung, in der das Aufblitzen und Sich-stellen eines Problems, der Kompositions
aufgabe
, wie er ihr von jeher nachgehangen hatte, eins war mit ihrer erleuchtungsartigen Lösung, und die ihm kaum Zeit ließ, den sich jagenden Ideen, die ihm keine Ruhe gönnten, ihn zu ihrem Sklaven machten, mit der Feder, dem Stifte zu folgen. Der Hinfälligste eben noch, arbeitete er zehn Stunden am Tage und darüber, nur unterbrochen durch eine kurze Mittagspause und hie und da einen Gang ins Freie, um die Klammermulde, auf
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