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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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auch in dem Zirkel hospitierte, und mit dem mich ja durch seine Gattin freundschaftliche Beziehungen verbanden, – nur daß freilich seine Person nun wieder sorgenvolle Assoziationen anderer Art erweckte. Übrigens ist zu fragen, was ich gegen Dr. Unruhe, Egon Unruhe, haben konnte, einen philosophischen Paläozoologen, der in seinen Schriften die Tiefschichten- und Versteinerungskunde auf sehr geistvolle Weise mit der Rechtfertigung und wissenschaftlichen Verifizierung uralten Sagengutes verband, so daß in seiner Lehre, einem sublimierten Darwinismus, wenn man will, alles wahr und wirklich wurde, woran im Ernst zu glauben eine entwickelte Menschheit längst aufgehört hatte. Ja, woher mein Mißtrauen gegen den gelehrten und denkerisch hochbemühten Mann? Woher dasjenige gegen Professor Georg Vogler, den Literarhistoriker, der eine vielbeachtete Geschichte des deutschen Schrifttums unter dem Gesichtspunkt der Stammeszugehörigkeit geschrieben hatte, worin also der Schriftsteller nicht so geradehin als Schriftsteller und universell erzogener Geist, sondern als blut- und landschaftgebundenes Echt-Produkt seines realen, konkreten, spezifischen, für ihn zeugenden und von ihm bezeugten Ur {528} sprungswinkels behandelt und gewertet wurde? Es war ja das alles sehr bieder, mannhaft, gediegen und kritisch dankenswert. Der Kunstgelehrte und Dürerforscher Professor Gilgen Holzschuher, auch ein Geladener, war mir auf ähnlich schwer zu rechtfertigende Weise nicht geheuer; und vollends galt dies für den öfters anwesenden Dichter Daniel Zur Höhe, einen in geistlich hochgeschlossenes Schwarz gekleideten hageren Dreißiger mit Raubvogel-Profil und von hämmernder Sprechweise, die etwa lautete: »Jawohl, jawohl, so übel nicht, o freilich doch, man kann es sagen!«, wobei er immerfort nervös und inständig mit dem Fußballen auf den Boden klopfte. Er liebte es, die Arme über der Brust zu kreuzen oder eine Hand napoleonisch im Busen zu bergen, und seine Dichterträume galten einer in blutigen Feldzügen dem reinen Geiste unterworfenen, von ihm in Schrecken und hohen Züchten gehaltenen Welt, wie er es in seinem, ich glaube, einzigen Werk, den schon vor dem Kriege auf Büttenpapier erschienenen »Proklamationen«, beschrieben hatte, einem lyrisch-rhetorischen Ausbruch schwelgerischen Terrorismus, dem man erhebliche Wortgewalt zugestehen mußte. Der Signatar dieser Proklamationen war eine Wesenheit namens Christus imperator maximus, eine kommandierende Energie, die todbereite Truppen zur Unterwerfung des Erdballs warb, tagesbefehlartige Botschaften erließ, genießerisch-unerbittliche Bedingungen stipulierte, Armut und Keuschheit ausrief und sich nicht genug tun konnte in der hämmernden, mit der Faust aufschlagenden Forderung frag- und grenzenlosen Gehorsams. »Soldaten!« schloß die Dichtung, »ich überliefere euch zur Plünderung –
die Welt

    Dies alles war »schön« und empfand sich selber sehr stark als »schön«; es war »schön« auf eine grausam und absolut schönheitliche Weise, in dem unverschämt bezuglosen, juxhaften und unverantwortlichen Geist, wie eben Dichter ihn sich erlauben, – der steilste ästhetische Unfug, der mir vorgekommen. {529} Helmut Institoris, natürlich, hatte viel dafür übrig, aber auch sonst erfreuten Autor und Werk sich ernstlichen Ansehens, und meine Antipathie gegen beide war ihrer selbst nicht so ganz sicher, da sie sich mitbestimmt wußte von meiner allgemeinen Gereiztheit durch den Kridwiß'schen Kreis und seine zumutungsvollen kulturkritischen Befunde, die zur Kenntnis zu nehmen doch ein geistiges Pflichtgefühl mich anhielt.
    Ich werde versuchen, auf möglichst knappem Raum das Wesentliche dieser Ergebnisse zu umreißen, die unser Gastgeber mit vielem Recht »scho' enorm wischtisch« fand, und die Daniel Zur Höhe mit seinem stereotypen »O freilich doch, so übel nicht, jawohl, jawohl, man kann es sagen« begleitete, wenngleich sie nicht geradezu auf die Plünderung der Welt durch die hart eingeschworene Soldateska Christi imperatoris maximi hinausliefen. Das war, versteht sich, nur symbolische Poesie, während es der Konferenz um Ausblicke auf soziologische Wirklichkeiten ging, um Feststellung des Seienden und Kommenden, die allerdings mit den asketisch-schönen Schrecknissen von Daniels Phantasien dies und das zu tun hatten. Ich habe es ja selbst weiter oben aus freien Stücken vermerkt, daß die Erschütterung und Zerstörung scheinbar gefestigter Lebenswerte durch

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