Doktor Faustus
Zorn, ihrer stürmischen Selbstverachtung; denn der Verführer hatte ihre Sinne zwar einen Augenblick hinzunehmen gewußt, aber sie empfand nichts für ihn außer dem Haß, den sein Triumph ihr erregte, und der eine gewisse Verwunderung ihres Herzens einschloß darüber, daß er sie, Clarissa Rodde, zu Falle zu bringen verstanden hatte. Durchaus, und mit Hohn dazu, verweigerte sie sich seitdem seiner Begierde, – in Ängsten nur immer, er möchte unter die Leute bringen, daß sie seine Geliebte gewesen, womit, als Druckmittel, der Mensch ihr damals schon drohte.
Unterdessen hatten sich der Gequälten, Enttäuschten, Gedemütigten erlösende menschliche und bürgerliche Aussichten eröffnet. Der sie ihr bot, war ein junger elsässischer Industrieller, der zuweilen in Geschäften von Straßburg nach Pforzheim herüberkam, in größerem Kreis ihre Bekanntschaft {553} gemacht und sich sterblich in die schöngestaltige und spöttische Blondine verliebt hatte. Daß Clarissa damals nicht überhaupt ohne Engagement, sondern zum zweiten Mal, wenn auch nur für wenig dankbare Episodenrollen, dem Pforzheimer Stadttheater verpflichtet worden war, verdankte sie der Sympathie und Fürsprache eines älteren Dramaturgen, der, selbst literarisch bemüht, zwar auch nicht an ihre Berufenheit zur Bühne glauben mochte, aber ihren allgemeinen geistigen und menschlichen Rang zu schätzen wußte, welcher den im Gauklervölkchen üblichen so beträchtlich und oft so störend überstieg. Vielleicht, wer weiß? liebte er sie sogar und war nur zu sehr der Mann der Enttäuschung und des Verzichtes, um zu seiner stillen Neigung Mut zu fassen.
Zu Beginn der neuen Saison also begegnete Clarissa dem jungen Menschen, der versprach, sie aus einem verfehlten Beruf zu lösen und ihr dafür, als seiner Gattin, eine friedlich gesicherte, ja wohlbegüterte Existenz in zwar fremder, aber ihren Ursprüngen bürgerlich verwandter Sphäre zu bieten. Mit unverkennbarer Hoffnungsfreudigkeit, Dankbarkeit, ja Zärtlichkeit (die eine Frucht der Dankbarkeit war), berichtete sie brieflich an ihre Schwester und sogar an ihre Mutter über Henris Werbung und auch über die Widerstände, auf die seine Wünsche vorläufig daheim noch stießen. Ungefähr des gleichen Alters wie seine Erwählte, Familiensohn – oder -söhnchen auch wohl –, Liebling seiner Mutter, Mitarbeiter seines Vaters im Geschäft, vertrat er zu Hause diese Wünsche mit Wärme und gewiß auch mit Willenskraft, – von der aber vielleicht ein Mehreres nötig gewesen wäre, um rasch das Vorurteil seines bürgerlichen Clans gegen die Schauspielerin, die Vagabundin, eine »boche« noch obendrein, zu überwinden. Henri hatte viel Verständnis für die Sorge der Seinen um seine Feinheit und Reinheit, für ihre Furcht, er möchte sich verplempern. Daß er dies keineswegs tat, indem er Clarissa heimführte, war nicht so {554} leicht ihnen klar zu machen. Am besten geschah es, indem er sie persönlich in sein Elternhaus einführte, sie seinen liebenden Erzeugern, eifersüchtigen Geschwistern und urteilenden Tanten zur Prüfung vorstellte, und an der Bewilligung und Anordnung dieser Entrevue arbeitete er denn seit Wochen: in regelmäßigen Billets und bei wiederkehrenden Aufenthalten in Pforzheim unterrichtete er die Geliebte von seinen Fortschritten.
Clarissa war ihres Sieges gewiß. Ihre gesellschaftliche Ebenbürtigkeit, nur verdunkelt durch den Beruf, den aufzugeben sie bereit war, würde Henris ängstlicher Sippe bei persönlicher Begegnung schon einleuchten. In ihren Briefen und mündlich bei einem Besuch in München nahm sie ihre offizielle Verlobung und die Zukunft vorweg, der sie entgegensah. Diese stellte sich ganz anders dar, als das entwurzelte, ins Geistige, Künstlerische strebende Patrizierkind sie sich erträumt hatte, aber sie war der Hafen, war das Glück, – ein bürgerliches Glück, das ihr offenbar annehmbarer erschien durch den Reiz der Fremdartigkeit, die nationale Neuheit des Lebensrahmens, in den sie versetzt werden sollte: sie malte sich das französische Geplauder ihrer zukünftigen Kinder aus.
Da erhob sich das Gespenst ihrer Vergangenheit, ein dummes, nichtssagendes und nichtswürdiges, aber freches und unbarmherziges Gespenst, gegen ihre Hoffnungen und machte sie zynisch zuschanden, trieb das arme Geschöpf in die Enge und in den Tod. Jener rechtskundige Lump, dem sie in schwacher Stunde angehört, erpreßte sie mit seinem einmaligen Siege. Henris Angehörige, Henri
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