Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
geistig-seelischen Grundstimmung mit »Kaisersaschern« mehr zu tun hat, als mit moderner Schnittigkeit der Gesinnung, und dessen Wesen ich – mit gewagtem Wort – eine explodierende Altertümlichkeit nennen möchte.
    {548} Seelenlosigkeit! Ich weiß wohl, dies ist es im Grunde, was diejenigen meinen, die das Wort »Barbarismus« gegen Adrians Schöpfung im Munde führen. Haben sie je, sei es auch nur mit dem lesenden Auge, gewissen lyrischen Partien – oder darf ich nur sagen: Momenten? – der »Apokalypse« gelauscht, Gesangsstellen, von Kammerorchester begleitet, die einem Härteren, als ich es bin, die Tränen in die Augen treiben könnten, da sie wie eine inständige Bitte um Seele sind? Man verzeihe mir die gewissermaßen ins Blaue gerichtete Polemik, aber Barbarei, Unmenschlichkeit sehe ich darin, ein solches Verlangen nach Seele – das Verlangen der kleinen Seejungfrau – Seelenlosigkeit zu nennen!
    Ich schreibe es in ergriffener Abwehr nieder, – und eine andere Ergriffenheit packt mich: die Erinnerung an das Pandämonium des Lachens, das Höllengelächter, das, kurz, aber gräßlich, den Abschluß des ersten Teils der »Apocalipsis« bildet. Ich hasse, liebe und fürchte es; denn – man verzeihe dies allzu persönliche »denn«! – immer habe ich Adrians Neigung zum Lachen gefürchtet, der ich, anders als Rüdiger Schildknapp, stets schlecht zu sekundieren wußte, – und dieselbe Furcht, dieselbe scheue und sorgende Unbeholfenheit empfinde ich bei diesem durch 50 Takte hinfegenden, mit dem Gekicher einer Einzelstimme beginnenden und rapide um sich greifenden, Chor und Orchester erfassenden, unter rhythmischen Umstürzen und Konterkarierungen zum Tutti-Fortissimo grauenhaft anschwellenden, überbordenden, sardonischen Gaudium Gehennas, dieser aus Johlen, Kläffen, Kreischen, Meckern, Röhren, Heulen und Wiehern schauderhaft gemischten Salve von Hohn- und Triumphgelächter der Hölle. So sehr verabscheue ich, an und für sich genommen, diese durch ihre Stellung im Ganzen noch besonders hervorgehobene Episode, diese Windsbraut infernalischer Lachlust, daß ich mich kaum überwunden hätte, sie hier zur Sprache zu {549} bringen, wenn nicht gerade sie auch wieder, im Zusammenhang, mir das tiefste Geheimnis der Musik, welches ein Geheimnis der Identität ist, auf eine das Herz stocken lassende Weise offenbart hätte.
    Denn das Höllengelächter am Schlusse des ersten Teils hat ja sein Gegenstück in dem so ganz und gar wundersamen Kinderchor, der, von einem Teil-Orchester begleitet, sogleich den zweiten eröffnet, – einem Stück kosmischer Sphärenmusik, eisig, klar, gläsern-durchsichtig, zwar herb dissonant, dabei aber von einer, ich möchte sagen: unzugänglich-überirdischen und fremden, das Herz mit Sehnsucht
ohne Hoffnung
erfüllenden Lieblichkeit des Klanges. Und dieses Stück, das auch Widerstrebende gewonnen, gerührt, entrückt hat, ist für den, der Ohren hat, zu hören, und Augen, zu sehen, nach seiner musikalischen Substanz das Teufelsgelächter noch einmal! Überall ist Adrian Leverkühn groß in der Verungleichung des Gleichen. Man kennt seine Art, ein Fugenthema schon bei erster Beantwortung rhythmisch so zu modifizieren, daß es trotz strikt bewahrter Thematik als Wiederholung nicht mehr erkennbar ist. So hier – aber nirgends so tief, geheim und groß, wie hier. Jedes Wort, das die Idee des »Hinüber«, der Verwandlung mystischen Sinnes, also der Wandlung, anklingen läßt: Transformation, Transfiguration, ist hier als genau zu begrüßen. Das zuvor vernommene Schrecknis ist zwar in dem unbeschreiblichen Kinderchor in eine gänzlich andere Lage übertragen, zwar völlig uminstrumentiert und umrhythmisiert; aber in dem sirrenden, sehrenden Sphären- und Engelsgetön ist
keine Note
, die nicht, streng korrespondierend, auch in dem Höllengelächter vorkäme.
    Das ist Adrian Leverkühn ganz. Es ist ganz die Musik, die er repräsentiert, und die Stimmigkeit ist als Tiefsinn, die zum Geheimnis erhobene Berechnung. So hat eine schmerzhaft auszeichnende Freundschaft mich die Musik zu sehen gelehrt, {550} obgleich ich, der eigenen schlichten Natur nach, vielleicht gern etwas anderes in ihr gesehen hätte.

XXXV
    Die neue Ziffer steht einem Abschnitt zu Häupten, der den Bericht von einem Trauerfall in meines Freundes Lebensbereich, einer menschlichen Katastrophe bringen soll, – aber, mein Gott, welcher Satz, welches Wort, das ich hier geschrieben, wäre denn nicht vom

Weitere Kostenlose Bücher