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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Katastrophalen umwittert, das unser aller Lebensluft geworden ist? Welches erzitterte nicht insgeheim, wie nur zu oft die Hand, die es schrieb, von den Vibrationen der Katastrophe, auf die meine Erzählung zustrebt, und zugleich derjenigen, in deren Zeichen die Welt – zum mindesten die humane, die bürgerliche Welt heute steht?
    Hier handelt es sich um eine intim menschliche, von der Außenwelt kaum beachtete Katastrophe, zu deren Erfüllung vieles zusammenkam: männliche Schurkerei, weibliche Schwäche, weiblicher Stolz und berufliches Mißlingen. Es sind nun zweiundzwanzig Jahre, daß, beinahe vor meinen Augen, Clarissa Rodde, die Schauspielerin, Schwester der ebenfalls sichtlich gefährdeten Ines, zugrunde ging: Nach Ablauf der Winter-Saison 1921/22, im Mai, nahm sie sich zu Pfeiffering, im Hause ihrer Mutter und ohne viel Rücksicht auf diese, hastig und entschlossen mit dem Gifte das Leben, das sie eben für den Augenblick, wo ihr Stolz das Leben nicht mehr ertragen würde, von langer Hand her in Bereitschaft gehalten hatte.
    Ich will die Vorgänge, die zu ihrer uns alle erschütternden, doch im Grunde nicht zu tadelnden Schreckenstat führten, und die Umstände, unter denen sie die Tat vollzog, mit kurzen Worten hier wiedergeben. Angedeutet wurde schon, daß die Besorgnisse und Warnungen ihres Münchener Lehrers sich als nur zu stichhaltig erwiesen und Clarissas künstlerische Lauf {551} bahn sich in Jahren noch immer nicht aus provinziellen Niederungen ins Höhere, Ansehnlich-Würdigere hatte erheben wollen. Von Elbing in Ostpreußen kam sie nach Pforzheim im Badischen, – das heißt: sie kam nicht, oder wenig, von der Stelle; die größeren Schauspielhäuser des Reiches kümmerten sich nicht um sie; sie war erfolglos oder ohne rechten Erfolg, aus dem einfachen und doch für den, den es angeht, so schwer zu fassenden Grunde, daß ihre natürliche Begabung nicht ihrem Ehrgeiz gleichkam, kein echtes und rechtes Theaterblut ihrem Wissen und Wollen zur Wirksamkeit verhalf und ihr auf der Bühne die Sinne und Herzen einer widerspenstigen Menge gewann. Es fehlte im Primitiven, – das nun einmal in aller Kunst, bestimmt aber in der des Komödianten das Entscheidende ist, – möge das nun zu Ehren oder Unehren der Kunst und insonderheit des Komödiantentums gesagt sein.
    Etwas anderes kam hinzu, Clarissas Existenz zu verwirren. Sie hielt, wie ich längst mit Bedauern bemerkt hatte, Bühne und Leben nicht wohl auseinander; sie war Schauspielerin und betonte die Schauspielerin, vielleicht eben weil sie keine rechte war, auch außerhalb des Theaters; der leiblich-persönliche Charakter dieser Kunst verführte sie zu einer Aufmachung ihrer zivilen Person mit Gesichtskosmetik, gepolsterten Frisuren und über-dekorativen Hüten, – einer völlig unnötigen und mißverständlichen Selbstinszenierung, die auf den freundschaftlich Empfindenden peinlich, auf den Bürger herausfordernd und auf die männliche Lüsternheit ermutigend wirkte, – ganz irrtümlich und gegen jede Absicht; denn Clarissa war das spöttisch-abweisendste, kühlste, keuscheste, nobelste Geschöpf, – mochte auch dieser Harnisch ironischen Hochmuts ein Schutzgebilde sein gegen Begehrungen ihrer Weiblichkeit, die sie nun doch wieder zur rechten Schwester Inessens Institoris, der Geliebten – oder ci devant-Geliebten Rudi Schwerdtfegers, machten.
    {552} Jedenfalls war nach jenem wohlkonservierten Sechziger, der sie zu seiner Maitresse hatte machen wollen, noch mancher Fant mit minder soliden Absichten ruhmlos bei ihr abgefahren, auch ein oder der andere öffentlich Urteilende, der ihr hätte nützlich werden können, sich aber natürlich für die Niederlage durch höhnische Herabsetzung ihrer Leistung rächte. Dann endlich ereilte das Schicksal sie doch und machte ihr Naserümpfen kläglich zuschanden: ich sage »kläglich«, weil der Bezwinger ihrer Magdschaft seines Sieges durchaus nicht würdig war und von Clarissa selbst auch keineswegs als seiner würdig erachtet wurde: ein pseudo-dämonischer Spitzbart, Schürzenjäger, Coulissen-Habitué und Provinz-Viveur, der zu Pforzheim als Rechtsanwalt, Kriminal-Verteidiger wirkte, für seine Eroberung ausgestattet mit nichts als einer billig menschenverächterischen Suada, feiner Wäsche und viel schwarzen Haaren auf den Händen. Seiner Routine erlag eines Abends nach dem Spiel, wahrscheinlich im Weinrausch, die stachlichte, im Grunde aber unerfahrene und wehrlose Spröde, – zu ihrem größten

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