Doktor Faustus
nicht, war wirklich nicht sicher, zu begreifen. Sie fragte, ob sie recht verstände, daß Rudolf bei ihr anhalte für Herrn Dr. Leverkühn. Ja, hieß es, das tue er pflichtgemäß, aus Freundschaft. Darum habe Adrian ihn aus Zartgefühl gebeten, und er habe geglaubt, es ihm nicht abschlagen zu dürfen. Ihre merklich kühle, merklich spöttische Antwort, das sei sehr schön von ihm, war nicht geschaffen, seine Verlegenheit zu mildern. Die Ausgefallenheit seiner Lage und Rolle kam ihm erst jetzt recht zum Bewußtsein, und die Befürchtung, daß etwas Beleidigendes für sie daran sein könnte, mischte sich mit darein. Ihr Verhalten, dies ganz und gar befremdete Verhalten, erschreckte ihn zugleich und freute ihn insgeheim. Das seine zu rechtfertigen, bemühte er sich unter einigem Stottern noch eine Weile. Sie wisse nicht, wie schwer es sei, einem Menschen wie diesem etwas abzuschlagen. Auch habe er sich gewissermaßen verantwortlich gefühlt für die Wendung, die Adrians Leben durch dieses Gefühl genommen, weil ja er es gewesen sei, der ihn zu der Reise in die Schweiz bewogen und so die Begegnung mit ihr, Marien, herbeigeführt habe. Merkwürdig genug, das Violin-Konzert sei ihm gewidmet, aber letzten Endes sei es das Mittel gewesen, den Komponisten ihrer ansichtig werden zu lassen. Er bitte sie, zu verstehen, daß jenes Verantwortungsbewußtsein stark zu seiner Bereitschaft beigetragen habe, Adrians Wunsch zu erfüllen.
Hier gab es ein neues, kurzes Zurückziehen der Hand, die er bei seiner Bitte zu ergreifen versucht hatte. Sie antwortete ihm Folgendes. Sie antwortete ihm, er möge sich nicht weiter bemühen, an ihrem Verständnis für die Rolle, die er übernommen, sei nichts gelegen. Es tue ihr leid, seine freundschaftlichen Hoffnungen vereiteln zu müssen, aber wenn sie selbst {644} verständlich nicht unbeeindruckt sei von der Persönlichkeit seines Auftraggebers, so habe die Ehrerbietung, die sie diesem entgegenbringe, nichts zu tun mit Empfindungen, welche die Grundlage abgeben könnten für die ihr so beredt vorgeschlagene Verbindung. Die Bekanntschaft mit Dr. Leverkühn sei ihr eine Ehre und Freude gewesen, aber leider schließe der Bescheid, den sie ihm jetzt erteilen müsse, wohl jede weitere Begegnung als peinlich aus. Sie bedauere aufrichtig, es so auffassen zu müssen, daß von dieser Veränderung der Dinge auch der Überbringer und Befürworter unerfüllbarer Wünsche betroffen sei. Zweifellos sei es nach dem Vorgefallenen besser und leichter, einander nicht wiederzusehen. Sie nehme hiermit freundlichen Abschied von ihm, »Adieu, monsieur!«
Er bat: »Marie!« Aber sie gab nur ihrem Erstaunen Ausdruck, daß er mit ihrem Vornamen bekannt sei, und wiederholte die Verabschiedung, die ich so deutlich in ihrem Stimmklang im Ohr habe: »Adieu, monsieur!«
Er ging, – ein begossener Pudel, von außen gesehen, aber innerlich bis zur Beglücktheit vergnügt. Adrians Heiratsidee hatte sich als der Unsinn erwiesen, der sie war, und daß er sich dazu hergegeben, sie ihr zu unterbreiten, hatte sie sehr übelgenommen, – sie war zum Entzücken empfindlich dagegen gewesen. Adrian über den Ausgang seines Besuches Bericht zu erstatten, beeilte er sich nicht, – wie froh er war, daß er sich durch das ehrliche Eingeständnis, er selbst sei nicht kalt gegen die Reize des Mädchens, vor ihm salviert hatte! Was er tat, war, niederzusitzen und einen Schreibebrief an die Godeau abzufassen, worin er ihr sagte, daß er mit ihrem »Adieu, monsieur« nicht leben und nicht sterben könne, und daß er sie um Lebens und Sterbens willen wiedersehen müsse, nämlich um ihr die Frage vorzulegen, die er schon hiermit von ganzer Seele an sie richte: Ob sie denn nicht verstehe, daß ein Mann aus Verehrung für einen anderen die eigenen Gefühle opfern und über sie {645} hinweggehen könne, indem er sich zum uneigennützigen Anwalt der Wünsche des anderen mache. Und ob sie nicht ferner verstehe, daß die unterdrückten, die treulich beherrschten Gefühle zu freiem, ja zu jubelndem Durchbruch kämen, sobald sich herausstelle, daß der andere nun einmal keine Aussicht auf Erhörung habe. Er bitte sie um Verzeihung für einen Verrat, den er an niemandem als sich selbst begangen. Er könne ihn nicht bereuen, aber es mache ihn überglücklich, daß es nun an niemandem mehr einen Verrat bedeute, wenn er ihr sage, daß er – sie liebe.
In dieser Art. Gar nicht ungeschickt. Beschwingt von Flirt-Begeisterung und, wie ich glaube,
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