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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Art zum Grunde gelegen hätte! Die Ereignisse sollten mich Aug' in Auge mit einer Wahrheit stellen, härter, kälter, grausamer, als daß meine Gutmütigkeit ihr gewachsen wäre, als daß sie nicht in eisigem Schauern davor erstarren sollte, – einer unerwiesenen, stummen, nur eben {641} durch ihren starren Blick sich zu erkennen gebenden Wahrheit, die in Stummheit verharren möge, da ich nicht der Mann bin, ihr Worte zu geben. –
    Ich bin gewiß, daß Schwerdtfeger sich, soviel er wußte, mit den besten, korrektesten Vorsätzen zu Marie Godeau begeben hatte. Aber ebenso gewiß ist, daß diese Vorsätze von vornherein nicht auf den festesten Füßen standen, sondern von innen her gefährdet, zur Lockerung, Auflösung, Umgestaltung bereit waren. Was Adrian ihm über die Bedeutung seiner Person für des Freundes Leben und Menschlichkeit eingeprägt hatte, war nicht ohne schmeichelhafte und anspornende Wirkung auf seine Eitelkeit geblieben, und den Gedanken, daß sich seine gegenwärtige Sendung aus dieser Bedeutung ergäbe, hatte er von einem überlegenen Deuter der Dinge angenommen. Aber die eifersüchtige Kränkung über die Sinnesänderung des Eroberten und darüber, daß er ihm nur noch zum Mittel und Werkzeug gut sein sollte, wirkte diesen Einflüssen entgegen, und ich glaube wohl, daß er sich insgeheim
frei
fühlte, das heißt: nicht gebunden, anspruchsvolle Untreue mit Treue zu erwidern. Dies ist mir ziemlich klar. Und es ist mir auch klar, daß, auf Liebeswegen zu gehen für einen anderen, ein verführerisches Wandeln ist, – zumal für einen Fanatiker des Flirts, für dessen Moral das Bewußtsein allein, daß es zum Flirt oder zu einem mit Flirt verwandten Unternehmen ging, etwas Entspannendes haben mußte.
    Zweifelt irgend jemand, daß ich, was zwischen Rudolf und Marie Godeau sich abspielte, in derselben Wörtlichkeit wiedergeben könnte, wie das Gespräch in Pfeiffering? Zweifelt jemand, daß ich »dabei gewesen« bin? Ich denke nicht. Aber ich denke auch, ein genaues Ausbreiten des Vorganges ist für niemanden mehr erforderlich, oder nur wünschbar. Sein verhängnisvolles Ergebnis, heiter, wie es sich vorerst – nicht für mich, aber für andere – ansah, war, man wird dieser Annahme bei {642} treten, nicht die Frucht nur einer Unterredung. Eine zweite war dazu nötig, zu der Rudolf angehalten wurde durch die Art, in der Marie ihn nach der ersten verabschiedet hatte. – Es war Tante Isabeau, auf die er beim Betreten des kleinen Vorplatzes der Pensionswohnung stieß. Er fragte nach ihrer Nichte, bat, mit dieser unter vier Augen einige Worte wechseln zu dürfen, im Interesse eines Dritten. Die alte Dame wies ihn ins Wohn- und Arbeitszimmer mit einem Lächeln, dessen Verschmitztheit Unglauben verriet an seine Rede vom Dritten. Er trat bei Marien ein, die ihn so freundlich wie überrascht begrüßte und Miene machte, ihre Tante zu benachrichtigen, was er zu ihrem wachsenden, jedenfalls heiter betonten Erstaunen für überflüssig erklärte. Die Tante wisse von seinem Hiersein und werde sich einfinden, wenn er in einer sehr wichtigen, sehr ernsten und schönen Angelegenheit mit ihr werde ausgeredet haben. Was hat sie erwidert? Das Scherzhaft-Alltäglichste gewiß. »Da bin ich wahrhaftig begierig«, oder etwas dergleichen. Und sie bitte den Herrn, es sich bequem zu machen für seinen Vortrag.
    Er setzte sich zu ihr, in einen an ihr Zeichenbrett herangezogenen Sessel. Kein Mensch kann sagen, daß er sein Wort gebrochen hätte. Er stand zu ihm, erfüllte es redlich. Er sprach ihr von Adrian, von seiner Bedeutung, seiner Größe, deren das Publikum nur langsam gewahr werde, von seiner, Rudolfs, Bewunderung und Ergebenheit für den außerordentlichen Mann. Er sprach ihr von Zürich, von der Begegnung bei Schlaginhaufens, von dem Tag in den Bergen. Er gestand ihr, daß sein Freund sie liebe – wie macht man das? Wie bekennt man einer Frau die Liebe eines andern? Neigt man sich zu ihr? Blickt man ihr ins Auge? Nimmt man bittend ihre Hand, die man gern in die des Dritten legen zu wollen erklärt? Ich weiß es nicht. Ich habe nur die Einladung zu einem Ausflug und keinen Heiratsantrag zu überbringen gehabt. Alles, was ich weiß, ist, daß sie ihre Hand, sei es aus der Umfassung der seinen, oder nur von {643} ihrem Schoße, wo sie frei gelegen, hastig zurückzog; daß eine flüchtige Röte die südliche Blässe ihrer Wangen überhauchte und das Lachen aus dem Dunkel ihrer Augen schwand. Sie begriff

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