Doktor Faustus
Freude an ihrem Söhnchen, das das friedlich-freundlichste, liebenswürdigste, leichtest zu wartende Baby von der Welt war, gingen die Symptome wieder zurück, und durch Jahre hielt die tapfere Frau sich rüstig, – bis zum Mai 1928, als der fünfjährige Nepomuk, recht heftig, die Masern bekam und die angstvolle Betreuung des ausnehmend geliebten Kindes bei Tag und Nacht zu einer schweren Belastung ihrer Kräfte wurde. Sie selbst erlitt einen Anfall der Krankheit, nach welchem die Temperaturschwankungen, der Husten nicht weichen wollten, so daß der behandelnde Arzt nun einen Anstaltsaufenthalt, den er ohne falschen Optimismus von vornherein auf ein halbes Jahr bemaß, kategorisch beantragte.
Dies brachte Nepomuk Schneidewein nach Pfeiffering. Seine Schwester Rosa nämlich, siebzehnjährig und, wie auch schon der ein Jahr jüngere Ezechiel, in dem optischen Handel tätig (während der fünfzehnjährige Raimund noch zur Schule ging), hatte nun zugleich den natürlichen Beruf, ihrem Vater in Abwesenheit der Mutter den Haushalt zu führen und würde aller Voraussicht nach zu beschäftigt sein, um auch noch die Beaufsichtigung des kleinen Bruders über sich nehmen zu können. Ursula hatte Adrian ins Bild gesetzt, ihm geschrieben, wie der Arzt eine sehr glückliche Lösung darin sehen würde, wenn der kindliche Rekonvaleszent einige Zeit in oberbayrischer Landluft verbringen könnte, und ihn gebeten, seine Wirtin für den Gedanken zu stimmen, eine gemessene Zeit lang bei dem Kleinen Mutter- oder Großmutterstelle zu vertreten. Dazu war Else Schweigestill, unter dem Zureden Clementines obendrein, gern bereit gewesen, und während also, Mitte Juni dieses Jah {667} res, Johannes Schneidewein seine Frau ins Harzgebirge begleitete, in dieselbe Kuranstalt nahe Suderode, die ihr schon einmal gut getan, fuhr Rosa mit ihrem Brüderchen gen Süden und brachte ihn in den Schoß von ihres Oheims zweitem Elternhaus.
Ich war nicht zugegen bei der Ankunft der Geschwister auf dem Hof, aber Adrian hat mir die Szene geschildert, wie das ganze Hausvolk, Mutter, Tochter, Erbsohn, Mägde und Knechte in hellem Entzücken, vor Freude lachend, den Kleinen umstanden und sich nicht satt sehen konnten an soviel Lieblichkeit. Besonders die Frauen, natürlich, und wieder die dienend-volkstümlichen am rückhaltlosesten, waren schier aus dem Häuschen, beugten sich mit gerungenen Händen zu dem Männlein herab, hockten nieder bei ihm und riefen Jesus, Maria und Joseph an ob des schönen Buben – unter dem nachsichtigen Lächeln seiner großen Schwester, der man es anmerkte, daß sie nichts anderes erwartet hatte und der allgemeinen Verliebtheit in den Jüngsten ihres Hauses gewöhnt war.
Nepomuk, oder »Nepo«, wie die Seinen ihn riefen, oder »Echo«, wie er, schon seit er zu lallen begonnen hatte, in wunderlicher Verfehlung der Mitlaute sich selber nannte, war sehr schlicht-sommerlich und kaum städtisch gekleidet: in ein weiß-baumwollenes Hemd-Jäckchen mit kurzen Ärmeln, ganz kurze Leinenhöschen und ausgetretene Lederschuhe an den bloßen Füßen. Trotzdem war einem bei seinem Anblick nicht anders, als sähe man ein Elfenprinzchen. Die zierliche Vollendung der kleinen Gestalt mit den schlanken, wohlgeformten Beinchen; der unbeschreibliche Liebreiz des länglich ausladenden, von blondem Haar in unschuldiger Wirrnis bedeckten Köpfchens, dessen Gesichtszüge, so kindlich sie waren, etwas Ausgeprägt-Fertiges und Gültiges hatten, sogar der unsäglich holde und reine, zugleich tiefe und neckische Aufschlag der langbewimperten Augen von klarstem Blau, – nicht einmal so {668} sehr dies alles war es, was jenen Eindruck von Märchen, von Besuch aus niedlicher Klein- und Feinwelt hervorrief. Hinzu kam das Stehen und Gehaben des Kindes unter dem umringenden, lachenden, sowohl leise Jubelrufe wie Seufzer der Rührung ausstoßenden Großvolk, sein selbstverständlich von Koketterie und Wissen um seinen Zauber nicht ganz freies Lächeln, Antworten und Bedeuten, das etwas lieblich Lehrendes und Botenhaftes hatte, das Silberstimmchen der kleinen Kehle und dieses Stimmchens Rede, die, noch mit kindlichen Fehllauten wie »iß« und »nißt« untermischt, den vom Vater ererbten und von der Mutter früh übernommenen, leicht bedächtigen, leicht feierlich schleppenden und bedeutsamen schweizerischen Tonfall, mit Zungen-r und drollig stockender Silbenfolge, wie »stut-zig« und »schmut-zig«, hatte, und die das Männchen, wie ich es nie bei Kindern
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