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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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denn, ich zappele selbst, es hat mich verteufelt am Wickel, und geht mit mir so dahin, daß mir wohl all mein Leichnam zittert. Einfälle, lieber Freund, sind ein unholdes Gelichter, sie haben heiße Backen, sie machen dir selber auf nicht ganz liebsame Art die Backen heiß. Zwischen Glück und Marter sollte man als Busenfreund eines Humanisten wohl jederzeit säuberlich unterscheiden können …« Und er gab an, daß er zuweilen nicht wisse, ob nicht die friedliche Unfähig {664} keit, in der er noch kürzlich gelebt, im Vergleich mit der gegenwärtigen Geplagtheit der wünschenswertere Zustand gewesen.
    Ich verwies ihm den Undank. Mit Staunen, Tränen der Freude in den Augen und auch mit liebendem Schrecken insgeheim las und hörte ich von Woche zu Woche, was er – und zwar in reinlich-exaktester, ja zierlicher Notation, die keine Spur von Fahrigkeit aufwies – zu Papier gebracht, – was, wie er sich ausdrückte, »sein Geist und Auerhahn« (er schrieb das Wort »Awerhan«) ihm eingesagt und abgefordert hatte. In einem Atem, besser gesagt: in einer Atemlosigkeit schrieb er die drei Stücke nieder, von denen eines genügt hätte, das Jahr seiner Entstehung denkwürdig zu machen, und begann tatsächlich mit der Aufzeichnung des Trios an demselben Tage noch, an dem er das zuletzt komponierte »Lento« des Quartetts vollendet. »Es geht«, schrieb er mir, als ich einmal 14 Tage lang nicht kommen konnte, »als hätt' ich in Krakau studiert«, – eine Redensart, die ich nicht gleich verstand, bis ich mich erinnerte, daß es die Universität Krakau gewesen war, wo man im 16ten Jahrhundert die Magie öffentlich gelehrt hatte.
    Ich kann versichern, daß ich sehr aufmerksam auf solche Stilisierungen seines Ausdrucks lauschte, die er zwar immer geliebt hatte, die aber jetzt häufiger als je, oder soll ich sagen: »zum offtermal«?, in seinen Briefen und selbst in seinem mündlichen Deutsch hervortraten. Bald sollte klar werden, warum. Ein erster Wink war es für mich, als mir eines Tages auf seinem Arbeitstisch ein Notenblatt in die Augen fiel, worauf er mit breiter Feder die Worte geschrieben hatte:
    »Diese Trawrigkeit bewegte Doctor Faustum, daß er seine Weheklag auffzeichnete.«
    Er sah, was ich sah, und nahm mir mit einem »Was treibt der Herr und Bruder da für nichtwerden Fürwitz!« den Zettel vor den Augen weg. Was er plante und stille für sich, ohne eines {665} Menschen Zutun, auszuführen gedachte, hielt er noch länger vor mir geheim. Aber von dem Augenblick an wußte ich, was ich wußte. Es steht über jedem Zweifel, daß das Jahr der Kammermusik 1927 auch das Jahr der Konzeption von »Doctor Fausti Weheklag« war. So unglaubwürdig es klingt: im Kampf mit Aufgaben, so hoch kompliziert, daß man sich ihre Bewältigung nur bei höchster, ausschließendster Konzentration vorstellen kann, stand sein Geist zugleich schon, vorschauend, versuchend, Fühlung nehmend, im Zeichen des zweiten Oratoriums, – dieses zermalmenden Klage-Werkes, von dessen ernstlicher Angehung ein Lebenszwischenfall, so lieblich wie herzzerreißend, ihn zunächst noch ablenken sollte.

XLIV
    Ursula Schneidewein, Adrians Schwester in Langensalza, hatte nach den Jahr für Jahr, 1911, 12 und 13, auf einander folgenden Geburten ihrer ersten drei Kinder ein wenig an der Lunge gekränkelt und einige Monate in einer Heilstätte im Harz verbringen müssen. Der Spitzenkatarrh schien dann ausgeheilt, und während des Jahrzehnts, das bis zu dem Erscheinen ihres Jüngsten, des kleinen Nepomuk, verging, war Ursula den Ihren eine unbekümmert tätige Gattin und Mutter, obgleich die Hungerperiode während des Krieges und nachher ihre Gesundheit zu keiner rechten Blüte kommen ließ, häufige Erkältungen, die mit bloßem Schnupfen begannen und sich dann regelmäßig in die Bronchien senkten, sie heimsuchten und ihr Aussehen (worüber eine gutwillig frohe und umsichtige Miene hinwegtäuschen konnte) wenn nicht leidend, so doch zart und bläßlich blieb.
    Die Schwangerschaft von 1923 schien ihre Vitalität eher zu heben, als daß sie sie beeinträchtigt hätte. Von der Entbindung dann freilich erholte sie sich mühsam, und die fiebrigen Stö {666} rungen, die vor zehn Jahren zu dem Kur-Aufenthalt geführt hatten, flackerten wieder auf. Schon damals war von einer erneuten Unterbrechung ihres Hausfrauendaseins zum Zweck spezifischer Pflege die Rede, aber, wie ich mit Bestimmtheit vermute, unter dem Einfluß psychischer Wohltat, des Mutterglücks, der

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