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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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im Diskreten zu halten und nicht beschwerlich damit zu fallen, – eine unnötige Sorge übrigens, da Echo sich aus stummer Bewunderung und gebannten Blicken längst nichts mehr zu machen schien. Den holden Dankesaufblick dieser Augen, für ein Stück {671} Kuchen, die Zureichung von etwas Eingemachtem, zu versäumen, wäre ohnehin Sünde gewesen.
    Schließlich sprach das Männlein die Silbe »'habt«. Sie war, wie die Schwester erklärte, von jeher sein Ausdruck für Gesättigt sein, zur Genüge-haben, Nicht-mehr-mögen, eine frühkindliche Abkürzung von »Ich hab es gehabt«, die er bis heute beibehalten hatte. »'habt!« sagte er; und als Mutter Schweigestill ihm aus Gastlichkeit noch etwas aufnötigen wollte, erklärte er mit einer gewissen überlegenen Vernunft:
    »Echo will deß lieber Umgang nehmen.«
    Er rieb sich die Augen mit den Fäustchen zum Zeichen der Schläfrigkeit. Man brachte ihn zu Bett, und während seines Schlummers unterhielt Adrian sich mit Schwester Rosa in seinem Arbeitszimmer. Sie blieb nur bis in den dritten Tag, ihre Pflichten in Langensalza zogen sie heim. Bei ihrem Fortgang weinte Nepomuk etwas, versprach dann aber, bis sie ihn wiederhole, immer »herzig« zu sein. Mein Gott, als ob er sein Wort nicht gehalten hätte! Als ob er überhaupt fähig gewesen wäre, es nicht zu halten! Er brachte etwas wie Glückseligkeit, eine beständige heitere und zärtliche Erwärmung der Herzen, nicht nur auf den Hof, sondern bis in das Dorf und bis nach Stadt Waldshut hinein, – wohin immer die Schweigestills, Mutter und Tochter, begierig, sich mit ihm sehen zu lassen, des gleichen Entzückens überall gewärtig, ihn mit sich nahmen, damit er beim Apotheker, beim Krämer, beim Schuhmacher unter zauberhaftem Gestenspiel und mit ausdrucksvollst schleppender Betonung seine Verschen aufsage: vom brennenden Paulinchen aus dem Struwwelpeter oder die vom Jochen, der so schmut-zig vom Spiel nach Haus kommt, daß Frau En-te und Herr En-terich sich wundern und selbst das Schwein stut-zig wird. Der Pfarrer von Pfeiffering, vor dem er mit zusammengetanen Händen – er hielt sie in Höhe seines Gesichtchens, in einiger Entfernung davon – ein Gebet sprach – und zwar ein {672} sonderbares altes Gebet, das mit den Worten begann: »Kein Ding hilft für den zeitling Tod« – konnte in seiner Ergriffenheit nur sagen: »Ach, du Gottskindlein, du benedeites!«, streichelte ihm das Haar mit seiner weißen Priesterhand und schenkte ihm gleich ein buntes Bild des Lammes. Dem Lehrer wurde auch, wie er nachher sagte, »ganz anders« im Gespräch mit ihm. Auf Markt und Gassen wollte jeder Dritte von »Fräul'n Clementine« oder Mutter Schweigestill wissen, was ihnen denn da vom Himmel gefallen sei. Die Leute sagten benommen: »Ja, da schau her! Da schau her!« oder, auch nicht viel anders, als der Herr Pfarrer: »Ach, du lieb's Kindl, du ganz selig's!« und Frauen ließen meist eine Neigung merken, bei Nepomuk niederzuknien.
    Als ich das nächste Mal auf dem Hofe vorsprach, waren seit seiner Ankunft schon vierzehn Tage vergangen; er war eingelebt dort und rings in der Gegend bekannt. Ich sah ihn zuerst von weitem: Adrian zeigte ihn mir von der Hausecke aus, wie er ganz allein im rückwärtigen Nutzgarten am Boden saß, zwischen Erdbeer- und Gemüsebeeten, ein Beinchen ausgestreckt, das andere halb hochgezogen, die geteilten Strähnen des Haars in der Stirn, und, wie es schien, mit etwas distanziertem Wohlgefallen ein Bilderbuch betrachtete, das ihm der Oheim geschenkt hatte. Er hielt es auf den Knien mit der Rechten am Rande. Das linke Ärmchen und Händchen aber, womit er das Blatt gewendet hatte, verharrten, die Bewegung des Umblätterns unbewußt festhaltend, in unglaublich graziöser Gebarung, das Händchen geöffnet, seitwärts vom Buch in der Luft, so daß mir war, als hätte ich nie ein Kind so reizend dasitzen sehen (meinen eigenen war's nicht im Traume gegeben, den Augen dergleichen zu bieten!) und bei mir dachte, auf diese Manier müßten die Englein droben die Seiten ihrer Hallelujabücher wenden.
    Wir gingen hinüber, damit ich die Bekanntschaft des kleinen {673} Wundermannes machte. Ich tat es, pädagogisch zusammengenommen, gewillt zu der Feststellung, daß hier alles mit recht und schlechten Dingen zugehe, entschlossen, mir jedenfalls nichts merken zu lassen und kein Süßholz zu raspeln. Zu diesem Behuf legte ich mein Gesicht in barsche Falten, machte mir eine recht tiefe Stimme und redete ihn an in

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