Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
dem bekannten rauh-gönnerhaften Tongehaben von »Nun, mein Sohn?! Immer brav derweilen?! Was treiben wir denn da?!« – kam mir aber, während ich mich so anstellte, unsäglich lächerlich vor, und das Schlimme war, daß er das merkte, auch das Gefühl, das ich mir selbst einflößte, augenscheinlich teilte und, beschämt für mich, das Köpfchen senkte, indem er den Mund nach unten zog, wie einer, der sich das Lachen verbeißt, was mich so außer Fassung brachte, daß ich längere Zeit überhaupt nichts mehr sagte.
    Er war noch nicht in dem Alter, wo ein Junge vor Erwachsenen aufzustehen und seinen Diener zu machen hat, und, wenn irgend einem Wesen, so standen ihm die zarten Privilegien, die anforderungslose Heiligung zu Gesicht, die man dem auf Erden noch Neuen, halb Fremden und Unbewanderten zugesteht. Er sagte uns, wir sollten »absitze« (der Schweizer braucht »absitzen« und »abliegen« für Sich setzen und -legen); und so taten wir, nahmen den Elfen in unsere Mitte im Grase und schauten mit ihm in sein Bilderbuch, das unter der im Laden angebotenen Kinderliteratur wohl noch zum Annehmbarsten gehört hatte: mit Schildereien im englischen Geschmack; einer Art von Kate Greenaway-Stil und gar nicht unebenen Reimen dazu, die Nepomuk (ich nannte ihn immer so und nicht »Echo«, was mir idiotischerweise als poetische Verweichlichung erschien) fast sämtlich schon auswendig wußte und uns »vorlas«, indem er mit dem Fingerchen an ganz falscher Stelle die Zeilen entlangfuhr.
    Das Merkwürdige ist, daß auch ich noch heute diese »Ge {674} dichte« auswendig weiß, nur weil ich sie einmal – oder mögen es mehrere Male gewesen sein? – von seinem Stimmchen und in seiner fabelhaften Betonung gehört habe. Wie gut weiß ich immer noch das von den drei Orgelmännern, die sich an einer Straßenecke trafen, und von denen einer dem anderen gram war, so daß keiner vom Flecke wich! Ich könnte es jedem Kinde wieder vorsagen, aber entfernt so gut nicht, wie Echo es tat, was bei diesem Ohrenschmaus die Nachbarschaft auszustehen hatte. Die Mäuse hielten Fasten ab, die Ratten zogen aus! Zum Schlusse hieß es:
    »Wer das Konzert zu End' gehört,
    das war ein junger Hund,
    und als der Hund nach Hause kam,
    da war er nicht gesund.«
    Man mußte das bekümmerte Kopfschütteln sehen, mit dem der Kleine, die Stimme traurig senkend, das Übelbefinden des Hundes aussagte. Oder man mußte die zierliche Grandezza beobachten, mit der er zwei wunderliche kleine Herrschaften am Meeresstrand sich begrüßen ließ:
    »Guten Morgen, Euer Gnaden!
    Es ist heute schlecht baden.«
    Dies aus mehreren Gründen: erstens weil das Wasser heut gar so naß sei und auch nur fünf Grad Réaumur habe, ferner aber, weil »drei Gäste aus Schweden« da seien –
    »Ein Schwertfisch, ein Sägefisch und Hai –
    ganz in der Nähe schwimmen die drei.«
    Er brachte diese vertraulichen Warnungen so drollig vor und hatte eine so großäugige Art, die drei unerwünschten Gäste aufzuzählen und ins Gemütlich-Unheimliche zu fallen bei der Nachricht, sie schwämmen ganz nahebei, daß wir beide laut {675} auflachten. Er blickte uns in die Gesichter dabei, unsere Heiterkeit mit schelmischer Neugier beobachtend, – die meine zumal, wie mir schien, denn er wollte wohl sehen, ob, zu meinem eigenen Besten, meine abgeschmackte Rauh- und Trocken-Pädagogik sich darin löse.
    Guter Gott, das tat sie denn auch, ich kam nach dem ersten dummen Versuche nicht mehr darauf zurück, außer allein, daß ich den kleinen Gesandten aus Kinder- und Elfenland stets mit fester Stimme »Nepomuk!« anredete und ihn »Echo« nur nannte, wenn ich mit seinem Onkel von ihm sprach, der, wie die Frauen, diesen Namen aufgegriffen hatte. Dabei wird man es verstehen, daß der Erzieher und Lehrer in mir etwas besorgt, beunruhigt, ja verlegen blieb angesichts einer freilich anbetungswürdigen Lieblichkeit, die aber doch der Zeit anheimgegeben, und der beschieden war, zu reifen und dem Irdischen zu verfallen. In kurzer Frist würde das lächelnde Himmelsblau dieser Augen seine Urreinheit von anderwärts einbüßen; dies Engelsmienchen von eigentümlich ausgesprochener Kindlichkeit, mit dem leicht gespaltenen Kinn, dem reizenden Mund, der im Lächeln, wenn er die schimmernden Milchzähne sehen ließ, etwas voller wurde, als er in der Ruhe war, und zu dessen Winkeln, von dem feinen Näschen her, zwei weich gerundete Züge, die Mund- und Kinnpartie gegen die Bäckchen absetzend, hinuntergingen,

Weitere Kostenlose Bücher