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Doktor Faustus

Doktor Faustus

Titel: Doktor Faustus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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und mit seinem Stimmchen fragte:
    »Siehst du sauer ins Feld, weil ich komme?«
    »Nein, Echo, nicht sonderlich sauer. Die Uhrgewichte sind aber erst halb hinunter.«
    In diesem Fall mochte es die Spieldose sein, nach der er verlangte. Sie war meine Beisteuer, ich hatte sie ihm gebracht: ein braunes Kästchen, dessen Werk an der Unterseite aufzuziehen war. Dann drehte die mit kleinen Metallwarzen bedeckte Walze sich an den gestimmten Zinken eines Kammes vorbei und spielte, anfangs in beeilter Zierlichkeit, dann langsam ermüdend, drei wohl harmonisierte kleine Biedermeier-Melodien, denen Echo in immer gleichem Gebanntsein lauschte, mit Augen, in denen Amüsiertheit, Erstaunen und tief schauende Träumerei sich auf unvergeßliche Weise mischten.
    Auch des Onkels Handschriften, diese über die Liniensysteme hingestreuten, mit Fähnchen und Federchen geschmückten, durch Bögen und Balken verbundenen, leeren und schwarzen Runen, betrachtete er gern und ließ sich erklären, wovon etwa mit all den Zeichen die Rede war: – von ihm, unter uns gesagt, und ich möchte wohl wissen, ob er das ahnungsweise schloß, ob es in seinen Augen zu lesen war, daß er es schloß aus des Meisters Erläuterungen. Dies Kind, vor uns {681} allen zuerst, durfte »Einblick« nehmen in die Partiturskizze von Ariels Liedern aus dem »Tempest«, an denen Leverkühn damals heimlich arbeitete: er setzte sie, indem er das erste, von geisternd zerstreuten Naturstimmen erfüllte, das »Come unto these yellow sands«, mit dem zweiten, rein lieblichen, dem »Where the bee sucks, there suck I«, zur Einheit zusammenzog, für Sopran, Celesta, sordinierte Geige, eine Oboe, eine gedämpfte Trompete und die Flageolett-Töne der Harfe, und wahrlich, wer diese »zierlich spükenden« Klänge vernimmt, sie auch nur mit seines Geistes Ohr, beim Lesen, vernimmt, mag wohl mit dem Ferdinand des Stückes fragen: »Wo ist wohl die Musik? In der Luft? auf Erden?« Denn der sie fügte, hat in sein spinnwebfeines, wisperndes Gewebe nicht nur die schwebende, kindlich-hold-verwirrende Leichtigkeit Ariels – of my dainty Ariel –, sondern die ganze Welt der Elfen von Hügeln, Bächen, Hainen eingefangen, wie sie, nach Prosperos Beschreibung, als schwache Meisterlein und halbe Püppchen bei Mondschein ihre kleine Kurzweil treiben, dem Schafe Futter ringeln, das es vermeidet, und mitternächtige Pilze ziehen.
    Echo wollte immer wieder in den Noten die Stellen sehen, wo der Hund »Bowgh, wowgh« und der Hahn »Cock-a-doodle-doo« macht. Und Adrian erzählte ihm dazu von der schlimmen Hexe Sycorax und ihrem kleinen Diener, den sie, weil er ein allzu zarter Geist war, um ihren gemeinen Weisungen zu gehorchen, in den Spalt einer Fichte klemmte, in welcher Zwangslage er zwölf jammervolle Jahre verbrachte, bis der gute Zaubermeister kam und ihn befreite. Nepomuk begehrte zu wissen, wie alt das Geistlein gewesen sei, als es eingeklemmt wurde, und wie alt also nach zwölf Jahren, als ihm Befreiung ward; aber der Onkel sagte ihm, der Kleine habe kein Alter gehabt, sondern sei vor und nach der Gefangenschaft immer dasselbe zierliche Kind der Lüfte gewesen, was Echo zu befriedigen schien.
    {682} Auch andere Märchen erzählte ihm der Herr der Abtsstube, so gut er sich ihrer erinnerte: vom Rumpelstilzchen, vom Falada und von Rapunzel, vom singenden springenden Löweneckerchen, und dazu freilich wollte der Kleine auf des Oheims Knien sitzen, seitlich, indem er zuweilen das Ärmchen um dessen Nacken schlang. »Das rauscht also wunderlich daher«, sagte er wohl, wenn eine Geschichte geendigt war, schlief aber öfters vorher ein, den Kopf an der Brust des Erzählers geborgen. Der saß dann lange unbeweglich, das Kinn leicht auf das Haar des Schlummernden gestützt, bis eine der Frauen kam und Echo holte.
    Wie ich sagte, hielt Adrian sich tageweise das Knäblein fern, sei es, weil er beschäftigt war, oder weil die Migräne ihn in die Stille, ja ins Dunkel zwang, oder aus welchem Grunde immer. Aber nach einem Tage gerade, an welchem er Echo nicht gesehen, trat er gern abends, wenn man das Kind zu Bett gebracht hatte, leise und kaum bemerkt, bei ihm ein, um dem Nachtgebet beizuwohnen, das es, auf dem Rücken liegend, die flachen Händchen vor der Brust zusammengefügt, mit einer seiner Pflegerinnen oder auch beiden, Frau Schweigestill und ihrer Tochter, abhielt. Es waren absonderliche Segen, die er da, das himmlische Blau seiner Augen zur Decke aufgetan, höchst ausdrucksvoll

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